DIE NEUE REPUBLIK 307
Ebert deklarierte zunächst sich und einige führende Elemente der
Berliner revolutionären Bewegung zu Volksbeauftragten und nahm sodann
die Zügel in die Hand. Die Energie, mit der er und besonders Noske in
diesen Tagen die sehr dreist gewordenen Spartakisten niederzuhalten
wußten, hätte dem Prinzen Max zum Vorbild dienen können. Prinz Max
selber fuhr, unbekümmert um die Entwicklung der Dinge in Berlin, nach
Baden, dessen dynastische Interessen für ihn wichtiger waren als die Ge-
schicke des Reichs. Wen immer auch Wilhelm II. sich in den verhängnis-
vollen Oktobertagen 1918 zum Kanzler genommen hätte, einen General,
einen Diplomaten, einen Mann der inneren Verwaltung, einen Parlamen-
tarier: keiner hätte im Augenblick der höchsten Gefahr derart seinen
persönlichen Egoismus, seine Familien-Interessen über alle anderen Er-
wägungen gestellt wie dieser prinzliche Neurastheniker. Prinz Max hat
sich getäuscht, wenn er glaubte, seine und seines Hauses Sache durch seinen
Weggang zu retten. Er lebt als Privatmann am Bodensee. Bezeichnend
für die Geistesverfassung der neuen Machthaber war auf der anderen Seite,
daß der bisherige Staatssekretär Scheidemann, als er am Nachmittag
des 9. November von der Freitreppe des Deutschen Reichstags aus die
Republik proklamierte, seine Kundgebung mit den albernen und dabei un-
wahren Worten einleitete: „Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie
gesiegt.““ Das war eine grausame Selbsttäuschung. Leider hatte das deutsche
Volk gar nicht gesiegt, sondern es war gegenüber der Überzahl seiner
Feinde, bei unfähiger politischer Leitung durch den Hunger und durch den
Dolchstoß von hinten besiegt worden.
Die ersten Tage der neuen deutschen Republik boten auch für den-
jenigen, der ihr ohne vorgefaßte Meinung und nur mit dem Gedanken
gegenüberstand, dem Vaterland möge das Ärgste erspart bleiben, das Bild
völliger Verwirrung, einer fast kindischen Unfähigkeit. Die neue Regierung
wurde derart gebildet, daß neben Mitgliedern der Mehrheitssozialdemo-
kratie ebenso viele Anhänger der Unabhängigen Sozialdemokratischen
Partei in den Rat der Volksbeauftragten berufen wurden, also je zwei Man-
datare, je zwei Minister. Das war noch nie und nirgends dagewesen, seit-
dem das alte Rom, freilich sehr verschieden von dem neuen Deutschland,
zwei Consules, zwei Quaestores, gekannt hatte. Über dem Rat der
Volksbeauftragten stand als Inhaber der eigentlichen Regierungsgewalt der
„Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte‘“. In der modernen Kunst
(oder vielmehr Unkunst) machte sich eine Zeitlang der sogenannte „Dada-
ismus“ breit, d. h. die Rückkehr zur Ausdrucksform der Säuglinge. Die
Kindheit der deutschen Republik war ein politischer Dadaismus. Es
tauchten Gestalten auf wie der „Leichenmüller“, ein Demagoge durch und
durch, so genannt, weil er erklärt hatte, nur über seine Leiche würde der
20°
Noske,
Scheidemann