Das Regime
in Preußen
308 DOPPFELBESETZUNG IN PREUSSEN
Weg zu Reichstagswahlen gehen. Natürlich erfreut sich Herr Müller heute
noch des besten Wohlseins, obwohl inzwischen mehrfach zum Reichstag
gewählt worden ist. Der linke Flügel der Sozialdemokraten wollte den
Reichstag abschaffen und ihn durch Arbeiter- und Soldatenräte ersetzen,
was, nebenbei gesagt, nicht einmal ein eigener, wenn auch noch so miserabler
Gedanke war, sondern eine servile Nachahmung der bolschewistischen
Regierungsweise. Nachdem durch Bethmann dem Weltkrieg in seinem Be-
gion unter dem Beifall aller Gedankenlosen die Spitze gegen das zaristische
Rußland gegeben worden war, endete er mit einer Nachäffung der von den
Bolschewisten in Rußland propagierten, selbst für ein Herdenvolk wie das
russische kaum geeigneten Regierungsform.
Auch in Preußen wurden zunächst für jedes Ressort zwei Minister
gestellt, ein Mehrheits- und ein Unabhängiger Sozialist, ein S.P.D. und ein
U.S.P.D. An die Spitze des Kultusministeriums traten der Mehrheits-
sozialist Konrad Hänisch und der Unabhängige Adolf Hoffmann. Der
erstere hatte seinen Aufstieg als Ritter der Rosa Luxemburg begonnen,
sich dann gemausert und allmählich zum gemäßigten Sozialisten entwickelt.
Als solchen habe ich ihn kennengelernt. Er schien kein böser Mensch zu
sein, vielmehr jovial und gemütlich, wie dies alte Boh@miens zu sein pflegen,
freilich ohne feinere, geschweige denn tiefere Kultur, der Typus eines
Halbgebildeten. Sein politischer Zwillingsbruder, der Berliner Kneipwirt
Adolf Hoffmann, war wenigstens, was bei Schiller die Gräfin Terzky
von Wallenstein fordert, ein eigener Charakter, der übereinstimmt mit
sich selbst, das heißt in diesem Fall, daß er auch in parlamentarischer
Rede „mir“ und „mich“ verwechselte. Er wurde, nachdem seine
Ministerlaufbahn ein baldiges Ende gefunden hatte, der Wortführer
der Revolution im Berliner Rathause. Sein Ton hat auf die Verhand-
lungen dieser Körperschaft auf Jahre hinaus ansteckend gewirkt. Die
Stadtverordneten überboten sich in rohen Beschimpfungen, die bis zu tät-
lichen Angriffen gingen, unter wüstem Gröhlen von der Zuschauertribüne,
begleitet von Stinkbomben und anderen geistigen Waffen der jungen
Republik. Dieses edle Paar Hoffmann und Hänisch sollte die geistlichen,
Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten Preußens betreuen, denen
einundzwanzig Jahre lang, von 1817 bis 1838, der Freiherr von Altenstein
vorgestanden hatte, der sich hier unvergängliche Verdienste um unsere
Universitäten, Gymnasien und den Volksunterricht erwarb, das Kultus-
ministerium, zu dem, und damit für die geistige Wiedergeburt Preußens,
Wilhelm von Humboldt als Leiter der geistlichen und Unterrichtsangelegen-
heiten im Ministerium des Innern den Grund gelegt hatte, das Kultus-
ministerium,das Falk und Bosse, Gustav von Goßler, Graf Robert Zedlitzund
Studt geleitet hatten. In der innerlichen Abneigung der Sozialdemokratie