310 KUGELN
Adlon weilten, unmittelbar nach der Revolution, drang eines Abends,
während ich, einer Einladung zu einem Herrendiner folgend, nicht zu Hause
war, ein angeblicher „Kommissar der Republik“ in unseren Salon ein und
richtete an meine Frau die Frage, ob bei uns Offiziere versteckt wären, ob
ich meine Militäruniform mitgebracht hätte oder ob ich gar Waffen bei mir
führe. Als meine Frau höflich erwiderte, daß ihr von derartigen, für die
Sicherheit der Republik bedrohlichen Anschlägen und Rüstungen nichts
bekannt wäre, entfernte sich der „Kommissar“ mit einer verlegenen Ent-
schuldigung. Ein anderes Mal sprang, als wir durch einen langen Korridor
gingen, aus einer Lifttür ein nach seinem Aussehen kaum siebzehnjähriger
Bursche heraus, in jeder Hand einen Revolver. Als meine Frau ihn frug,
was ihn veranlasse, die Feuerwaffe auf sie zu richten, erwiderte er mit kind-
lichem Ausdruck: „Ach, entschuldigen Sie, gnädige Frau, aber wir sind alle
so schrecklich aufgeregt. Wir sollen doch die Republik verteidigen, da muß
man einen Revolver haben, aber wir wollen Ihnen nichts Böses tun. Wenn
Sie wünschen, werden wir Sie gern auf Ihrem Spaziergang als Schutzwache
begleiten.“ Ich lehnte diese republikanische Ehrengarde mit freundlichem
Dank ab.
Als wir eines Tages von den Linden in die Wilhelmstraße einbogen, in
der ich als Staatssekretär und als Reichskanzler zwölf Jahre gewirkt hatte,
wo mein Vater als Staatssekretär Bismarck zur Seite gestanden war, wo
Bismarck, der große Kanzler, gewaltet hatte, pfiffen Kugeln. Einige fegten
die Straße entlang, andere schlugen in die Höfe und an die Wände der
Häuser. Ich glaubte mich in die schönen Tage des siegreichen Kriegs gegen
Frankreich versetzt. Ich führte meine Frau unter einen Hauseingang.
Während wir dort standen, fuhr ein Automobil an uns heran, und der
Chauffeur, der mich erkannt hatte, frug, wohin er mich fahren dürfe. Ich
dankte ihm und bat ihn, uns im Hotel Adlon abzusetzen. Als wir dort, nach
einem Umweg durch die Leipziger und Bellevuestraße, eintrafen, entfernte
er, als ich ausstieg, eine kleine rote Fahne, die er neben sich auf dem Bock
aufgepflanzt hatte. Mit der so sympathischen Gutherzigkeit des echten
Berliners meinte er, er habe mich nicht um Erlaubnis gebeten, das rote
Zeichen aufzustecken, da er vorausgesehen hätte, daß ich das nicht ge-
statten würde. Er habe es aber doch getan, damit meiner Frau nichts
passiere.
Als der Besitzer des Hotels Adlon mich bat, unser Appartement zu
räumen, da er bei der Möglichkeit von Straßenkämpfen auf dem Pariser
Platz für seine kostbaren Fensterscheiben fürchte und die Fensterläden
geschlossen halten müsse, hielt ich es für besser, ein anderes Quartier
Im Hotel aufzusuchen. Seit langem war mir das in der Nähe des Tiergartens schön
Eden gelegene Hotel Eden bekannt, das ein Sohn meines alten Regimentskame-