Der Einzug
der Truppen
312 SCHMERZLICHER ANBLICK
vorgeführt worden wären. Bei seinem Abtransport sei Liebknecht bei einem
Fluchtversuch im Tiergarten erschossen worden. Rosa Luxemburg wäre,
als eie aufrührerische Rufe ausstieß, von einem Soldaten durch einen
Kolbenschlag der Schädel eingeschlagen worden. Wir hatten von dem
ganzen Vorgang nichts gemerkt.
Während unseres Aufenthaltes im Hotel Eden hatte ich einen Anblick,
der zu den wehmütigsten, den schmerzlichsten meines Lebens gehört, den
Einzug unserer Truppen nach dem verlorenen Feldzug, nach dem Sturz der
preußischen Monarchie. Ich werde nie die Haltung vergessen, in der die
Offiziere ihre tapferen Leute vorbeiführten. Man sah ihnen die unsäglichen
Mühen, Leiden und Entbehrungen an, die sie durchgemacht hatten. Man
las in ihren Mienen und in den Gesichtern der Soldaten den Stolz auf das
in vier Jahren im Kampf gegen eine gewaltige Übermacht Geleistete, aber
auch den Schinerz und den Zorn, daß solchem Heroismus, der alles über-
trifft, was die Kriegsgeschichte irgendeines Volkes aufweist, in einem
Kampfe mit der ganzen Welt, mit Rußland und Frankreich, mit England
und Amerika, mit Belgien und Italien, mit Serbien und Rumänien, der end-
liche Sieg versagt blieb.
Als 1840 Nikolaus Becker den Kriegsdrohungen der Franzosen sein
Rheinlied („Sie sollen ihn nicht haben‘) entgegensang, antwortete
ihm Alfred de Musset mit dem Tirutzlied: „Nous l’avons eu votre
Rhin allemand“. In dem französischen Liede fragt der Dichter die
im Befreiungskrieg gegen Frankreich koalierten Mächte: „Combien, au
jour de la curee, &tiez-vous de corbeaux contre l’aigle expirant?‘“ Das
können die deutschen Helden des Weltkrieges die Mächte und Heere der
Entente fragen. Wie viele Raben und Krähen und Geier mußten sich zu-
sammentun, um den deutschen Aar zu bezwingen! In England, in Frank-
reich, in Italien wurden dem „unbekannten Soldaten‘ Ehrendenkmäler
errichtet. Die durch das Los bestimmte Leiche eines im Kriege gefallenen
Soldaten wurde in Italien unter dem Nationaldenkmal für den „Padre
della patria“, den König Viktor Emanuel II., in Frankreich unter dem Arc
de Triomphe, der an Napoleon und an die Grande Armee erinnert, in Eng-
land im Mittelpunkt der Haupt- und Weltstadt London beigesetzt. Und
noch heute werden täglich Kränze an diesen einem ganzen Volke heiligen
Erinnerungsstätten niedergelegt. Kein solches Denkmal ziert die Haupt-
stadt des Deutschen Reiches. Auch das ist ein betrübender Beweis für die
Schwäche unseres Nationalgefühls, für die Unfähigkeit der regierenden
Republikaner, dieses Nationalgefühl zu erwecken, zu beleben und zu
kräftigen. Ein Beweis auch unseres Mangels an Pietät und Dankbarkeit für
das, was Volk und Heer in dem größten Kriege aller Zeiten geleistet haben.
Um so mehr muß das Andenken an die alte Armee, an ihre Kämpfe und