330 DER ANKERCRUND
Mannes fielen in meine Knabenjahre die Schatten schmerzlicher Ohnmacht,
in der Deutschland damals daniederlag, Gel in meine Jünglingszeit der
Glanz, den Bismarcks gewaltige Gestalt über das neue Deutschland ausgoß.
Meine geistige und politische Entwicklung, von meinem Vater mit Ernst
und Umsicht gefördert, hat sich in bewunderndem Erleben des herrlichen
Aufstiegs vollzogen, den Bismarck im Jahre 1864 für Deutschland einleitete.
Das amtliche Wirken meines Vaters hatte im kleinen Kreise begonnen und
ihn zum Ende auf einen Posten geführt, dem unter dem alles erspähenden
Auge des großen Kanzlers die Geltendmachung der auswärtigen Interessen
des jungen Reiches anvertraut war. Die Erweiterung, die die politischen
Horizonte meines Vaters, die seine amtliche Tätigkeit erfuhren, war Hand
in Hand mit der Vorbereitung der Einigung der Nation, mit der Entstehung
des Reichs, mit der Befestigung und dem Ausbau seiner internationalen
Stellung gegangen. Ich hatte gewissermaßen im Mikrokosmus des elterlichen
Hauses das Werden des Makrokosmus, das Entstehen des neuen großen
Deutschlands aus nächster Nähe miterlebt, hatte seine Bedeutung im Maß
der fortschreitenden Tage stärker und stärker empfunden. Der Ruhm der
Armee, die Größe der Nation, der Glanz der Dynastie, die Zukunft des
Reichs waren die Ideale, in deren Pflege ich aufwuchs. Sie haben den Anker-
grund meiner Jugendentwicklung gebildet. Sie haben dem Streben des
reifenden Mannes Antrieb und Richtung gegeben, sie haben das Handeln
meiner zwölf Minister- und Kanzlerjahre bestimmt. Wessen Werden in der
ruhmvollen Vergangenheit Deutschlands wurzelt, wessen Leben und Wirken
eng mit der Epoche der Macht und des Glanzes verkettet ist, die Deutsch-
land bis zum Zusammenbruch erlebt hat, der kann beanspruchen, nicht
lediglich als einseitiger Laudator temporis acti zu gelten, wenn ihm die
Größe des Erlebten durch den Jammer der Gegenwart verdunkelt erscheint,
wenn ihm das Deutschland der Väter preiswürdiger dünkt als das der Söhne,
wenn ihm der Schild des Ruhmes, den das Deutsche Reich von ehedem vor
sich hertrug, leuchtender erscheint als die nachlässig gegürtete Toga, in die
unsere Demokratie das neue Deutschland gehüllt hat.
Ich bin gegen die Fehler des alten Regimes nicht blind gewesen. Sie
lagen teilweise, wie ich wiederholt und ausführlich dargelegt habe, im
System, teilweise, wie ich nicht unterlassen habe an geeigneter Stelle hervor-
zuheben, in den Personen. Die monarchische Staatsform war an sich für
das deutsche Volk durchaus geeignet und passend. Ihre Schwäche trat erst
unter Wilhelm II. hervor. Nach langen Jahren rastloser Bemühungen um
die Hochhaltung des Standes der Armee, um Ausbau und Entwicklung der
Marine, um Hebung von Kunst und Wissenschaft, um Förderung der
deutschen wirtschaftlichen Interessen, um Belebung und Stärkung des
nationalen Geistes im deutschen Volk ist Kaiser Wilhelm II. durch den