DER MORGEN DER REPUBLIK 331
Ausbruch des Weltkrieges mit zwei Männern an seiner Seite überrascht
worden, deren einer, Moltke, sich selbst als der Stellung des General-
stabschefs im Kriegsfalle nicht gewachsen erklärt hatte und deren anderer,
Betlimann, seine Unfähigkeit zur Lösung einer internationalen Krise zum
Verderb des Reichs nur zu deutlich geoffenbart hat. Beide waren Männer
seiner eigenen, durch Erwägungen der Staatsräson in keiner Weise ein-
geengten Wahl. Beide haben, jeder an seinem Teil, das deutsche Volk ins
Unglück gestürzt. Michaelis und Hertling, einer wie der andere von Wil-
heim II.in eigener Verantwortung ausgesucht, haben die Katastrophe
beschleunigt, Prinz Max hat sie besiegelt. Was Hindenburg und Ludendorff
erfochien, was die Armeen erstritten, Jas ließen ungenützt, ja vergeudeten
die unfähigen Staatsmänner, die der Kaiser einem großen und mündigen
Volke hatte aufzwingen können.
Es ist andererseits selbstverständlich, daß ich die Unfähigkeit und mehr
noch die nationale Würdelosigkeit, die in den Tagen des Niederbruchs in
den führenden Kreisen des neuen Deutschlands zutage getreten ist, mit
nicht minder ernstem und strengem Maß gemessen habe wie die unheil-
vollen Folgen, welche die Überspannung des Ilerrscherbegrifis durch
Wilhelm II. für das Deutsche Reich gezeitigt hat. Die Art, in der die
Demokratie, in der Weimarer Koalition zusammengeschlossen, sich in den
ersten Zeiten ihres Machtrausches gebärdet hat, mußte mit Schärfe ver-
urteilt werden. Die Güter, die als Heiligtum zu hüten auch einem unter-
legenen Volke wohlansteht, hat sie über Bord geworfen. Der Sinn für die
stolze Größe unserer Vergangenheit ist von ihr systematisch unterdrückt,
die Pflege der Tugenden, die allein uns eine bessere Zukunft verbürgen
können, die Hochhaltung der Tapferkeit, der opferwilligen Vaterlandsliebe
sind von ihr vernachlässigt worden. Die Gier nach Ämtern und Pensionen,
die bei dem ersten halben Dutzend von Regierungsbildungen sich bemerkbar
machte, die Brutalität, mit der die Selbstsucht der Fraktionen sich in den
Vordergrund des öffentlichen Lebens schob, die üblen Korruptionsaflären,
die den Morgen der Republik begleiteten und befleckten, mußten abstoßend
wirken. Es entspricht dem Gebot ausgleichender Gerechtigkeit, wenn die
beschämenden Seiten des politischen Lebens im neuen republikanischen
Deutschland mit Nachdruck gemißbilligt worden sind.
Mit Genugtuung habe ich, der ich ein aufmerksamer Beobachter der
Zeitereignisse geblieben bin, mit vielen Ausländern im Verkehr stehe und
heute noch Tag für Tag die Presse aller Richtungen und aller Länder
verfolge, die leisen Zeichen beginnender Besserung wahrgenommen, die in
Deutschland auf dem Gebiet des Staatslebens und in der Volkswirtschaft
zu beobachten sind. Im Innern treten die Gewässer des Novemberumsturzes
allmählich zurück. Der Horizont der auswärtigen Politik scheint sich