PRÄVYENTIVKRIEG EIN VERBRECHEN 17
folger, der gegenwärtige Prinz von Wales, sei ein ruhiger, phlegmatischer
Herr, mit dem viel leichter auszukommen sein würde als mit seinem Herrn
Vater. Wir wären jetzt als Scemacht so stark, daß es auch England
unratsam erscheinen würde, ohne Not mit uns anzubinden. Wir dürften
aber nie vergessen, daß, wie die Weltlage nun einmal wäre, jeder ernstliche
europäische Konflikt zu einem Weltkrieg mit seinen unabschbaren Fulgen
führen könne. Ich sagte zu Bethmann: „Jeder große Konflikt würde für
uns einen Kampf auf Leben und Tod bedeuten mit einem ungeheuren
Einsatz. Wir haben bei einem Krieg gar nichts zu gewinnen. Eine zwangs-
weise Angliederung der Dänen, Schweizer, Holländer, Belgier könnte nur
ein Narr ins Auge fassen. Eine Ausdehnung des Reichs nach Osten wäre
nicht minder bedenklich. Wir haben schon Polen genug, mehr als genug
innerhalb der schwarz-weißen Grenzpfähle. Forcieren wir nicht unsere
Schiffsbauten! Und namentlich nicht, und vor allem nicht den Bau von
Panzerschiffen! Beherzigen Sie, was ich in dieser Beziehung und in dieser
Richtung in meinem letzten ernsten Briefwechsel mit Tirpitz über die Be-
denken einer zu einseilig auf dem Bau immer neuer Panzerschiffe und
Dreadnoughts gerichteten Seepolitik ausgeführt, mit großem und starkem
Nachdruck ausgeführt habe. Sie finden meine Warnungen und Mahnungen,
meine Zuschrilten und Denkschriften bei den Akten. Schon Bismarck hielt es,
wie mir Tirpitz selbst erzählt hat, für bedenklich, nur und ausschließlich
ganz große Kasten zu bauen. Entwickeln wir lieber unser Torpedowesen,
die U-Boote. Sorgen wir andererseits unbedingt und ohne hier ganz
unangebrachte Pfennigfuchserei dafür, daß unsere Rüstung zu Lande keine
Lücke aufweist, daß wir in dieser Richtung Frankreich überlegen, min-
destens durchaus gewachsen bleiben. Frankreich ist und bleibt die Unruhe
in der europäischen Uhr. Auf die Länge wird die französische Bevölkerung
trotz ihres glänzenden Patriotismus die dreijährige Dienstzeit schwerlich
ertragen. Wenn Frankreich diese unnatürlich schwere Rüstung ablegt, in
der Einsicht, daß es uns militärisch doch nicht zu überflügeln vermag, ist
die Möglichkeit für eine lange Friedensperiode gegeben. Lassen Sie sich nicht
irremachen durch das dumme Gerede über unseren Zickzack-Kurs. Als
Odysseus glücklich zwischen der Szylla und der Charybdis durchkam,
wurde ilım von Nörglern in seinem Boot wahrscheinlich auch Zickzack-Kurs
vorgeworfen. Eine andere Politik wäre nur möglich, wenn wir es auf den
Präventivkrieg ankommen ließen, und ein solcher wäre ein Verbrechen,
denn, wie ich nur immer wiederholen kann, die Zeit läuft für uns.“ Wir
trennten uns nach dieser Unterredung in guter, bei meinem Nachfolger
sogar gerührter Stimmung.
Am folgenden Tage wohnte ich zum letztenmal einer Sitzung des
preußischen Staatsministeriums bei. Ich erinnerte in kurzen Worten daran,
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