Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

PRÄVYENTIVKRIEG EIN VERBRECHEN 17 
folger, der gegenwärtige Prinz von Wales, sei ein ruhiger, phlegmatischer 
Herr, mit dem viel leichter auszukommen sein würde als mit seinem Herrn 
Vater. Wir wären jetzt als Scemacht so stark, daß es auch England 
unratsam erscheinen würde, ohne Not mit uns anzubinden. Wir dürften 
aber nie vergessen, daß, wie die Weltlage nun einmal wäre, jeder ernstliche 
europäische Konflikt zu einem Weltkrieg mit seinen unabschbaren Fulgen 
führen könne. Ich sagte zu Bethmann: „Jeder große Konflikt würde für 
uns einen Kampf auf Leben und Tod bedeuten mit einem ungeheuren 
Einsatz. Wir haben bei einem Krieg gar nichts zu gewinnen. Eine zwangs- 
weise Angliederung der Dänen, Schweizer, Holländer, Belgier könnte nur 
ein Narr ins Auge fassen. Eine Ausdehnung des Reichs nach Osten wäre 
nicht minder bedenklich. Wir haben schon Polen genug, mehr als genug 
innerhalb der schwarz-weißen Grenzpfähle. Forcieren wir nicht unsere 
Schiffsbauten! Und namentlich nicht, und vor allem nicht den Bau von 
Panzerschiffen! Beherzigen Sie, was ich in dieser Beziehung und in dieser 
Richtung in meinem letzten ernsten Briefwechsel mit Tirpitz über die Be- 
denken einer zu einseilig auf dem Bau immer neuer Panzerschiffe und 
Dreadnoughts gerichteten Seepolitik ausgeführt, mit großem und starkem 
Nachdruck ausgeführt habe. Sie finden meine Warnungen und Mahnungen, 
meine Zuschrilten und Denkschriften bei den Akten. Schon Bismarck hielt es, 
wie mir Tirpitz selbst erzählt hat, für bedenklich, nur und ausschließlich 
ganz große Kasten zu bauen. Entwickeln wir lieber unser Torpedowesen, 
die U-Boote. Sorgen wir andererseits unbedingt und ohne hier ganz 
unangebrachte Pfennigfuchserei dafür, daß unsere Rüstung zu Lande keine 
Lücke aufweist, daß wir in dieser Richtung Frankreich überlegen, min- 
destens durchaus gewachsen bleiben. Frankreich ist und bleibt die Unruhe 
in der europäischen Uhr. Auf die Länge wird die französische Bevölkerung 
trotz ihres glänzenden Patriotismus die dreijährige Dienstzeit schwerlich 
ertragen. Wenn Frankreich diese unnatürlich schwere Rüstung ablegt, in 
der Einsicht, daß es uns militärisch doch nicht zu überflügeln vermag, ist 
die Möglichkeit für eine lange Friedensperiode gegeben. Lassen Sie sich nicht 
irremachen durch das dumme Gerede über unseren Zickzack-Kurs. Als 
Odysseus glücklich zwischen der Szylla und der Charybdis durchkam, 
wurde ilım von Nörglern in seinem Boot wahrscheinlich auch Zickzack-Kurs 
vorgeworfen. Eine andere Politik wäre nur möglich, wenn wir es auf den 
Präventivkrieg ankommen ließen, und ein solcher wäre ein Verbrechen, 
denn, wie ich nur immer wiederholen kann, die Zeit läuft für uns.“ Wir 
trennten uns nach dieser Unterredung in guter, bei meinem Nachfolger 
sogar gerührter Stimmung. 
Am folgenden Tage wohnte ich zum letztenmal einer Sitzung des 
preußischen Staatsministeriums bei. Ich erinnerte in kurzen Worten daran, 
2 Bülow III
	        
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