Vor den
preußischen
Ministern
Abschiedsrede
Bethmanns
18 AUS DEM STEGREIF
daß zwölf Jahre verflossen wären, seitdem ich, eingeführt durch meinen
verehrten Vorgänger, den Fürsten Hohenlohe, zum erstenmal an den
Beratungen des königlichen Staatsministeriums teilgenommen hätte. Nach
einer, leider nur kurzen, nur dreijährigen Lehrzeit hätte ich neun Jahre die
Ehre gehabt, den Sitzungen des Staatsministeriums zu präsidieren. Ich
möchte nicht in einen mir unsympathischen Ton der Hoffart und Über-
hebung verfallen. Ich müsse aber doch als ein vielgewanderter Mann, der
vieler Menschen Städte gesehen und Sitten kennengelernt hätte, der Über-
zeugung Ausdruck geben, daß in wenigen Behörden der Welt so viel
Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue, Arbeitskraft und Kenntnisse ver-
treten seien wie im königlich-preußischen Staatsministerium. Große
Fürsten, ein Friedrich Wilhelm I. und ein Fridericus Rex, und große
Minister, ein Stein, ein Hardenberg, ein Bismarck, die Gründer des Zoll-
vereins, Motz und Maaßen, der geistige Stifter der Universität Berlin,
Wilhelm von Humboldt, und der Begründer des preußischen Schulwesens,
der Vater jenes preußischen Schulmeisters, der die Schlacht von Königgrätz
gewann, Altenstein, und endlich, last not least, Männer, die wir selbst noch
gekannt hätten, von der Heydt und Miquel, Maybach und Budde, Botho
Eulenburg und Robert Zedlitz, hätten der preußischen Verwaltung und dem
preußischen Beamtentum ihren starken Stempel aufgedrückt. Freilich, fuhr
ich etwa fort, hülfe auch die beste Verwaltung nicht, wenn nicht nach außen
eine kräftige und geschickte, eine vorsichtige und tapfere Politik gemacht,
wenn nicht im Innern nach dem Grundsatz des ausgezeichneten franzö-
sischen Staatsmannes Thiers regiert würde: Gouverner c’est prevoir! Die
Leitung der Politik sei die Aufgabe des preußischen Ministerpräsidenten
und deutschen Reichskanzlers, dem ich aus warmem und aufrichtigem
Herzen Glück und Erfolg wünsche.
Ich hatte nach meiner Art aus dem Stegreif und mehr im Konversations-
ton gesprochen. Mein Nachfolger erwiderte auf meine Ausführungen mit
einer langen, offenbar sorgsam präparierten und sehr schönen Rede, in der
er dem Bedauern des Staatsministeriums über meinen Rücktritt und seiner
Bewunderung und Dankbarkeit für mein Wirken fast überschwenglichen
Ausdruck gab. Am nächsten Tage erhielt ich von ihm den Text seiner
Abschiedsrede, in dem manche seiner Ausführungen abgekürzt, andere
ganz unterdrückt worden waren, der aber im großen und ganzen seine
Ansprache richtig wiedergibt, die ich folgen lasse: „Im Namen des könig-
lichen Staatsministeriums danke ich Eurer Durchlaucht ehrerbietigst für
die gütigen Abschiedsworte, die Sie soeben an uns gerichtet haben. Wir alle
stehen unter dem tiefen Eindruck der jüngsten politischen Ereignisse und
sehen ihrer weiteren Entwicklung nicht ohne ernste Sorge entgegen. Mit
besonderem Schmerze erfüllt es uns, daß diese Vorgänge Eure Durchlaucht