Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

BISMARCKS REICHSBASIS 341 
das Deutsche Reich eine an die Zeit des ersten großen Kanzlers erinnernde 
Machtstellung eingenommen habe. Iis gereiche dem Senat zur besonderen 
Freude, daß ich künftig meine Sommer in Flottbek, in Hamburgs Nähe, zu 
verleben gedenke. Aus Bremen schloß sich der Präsident des Senats der 
Hamburger Kundgebung an. Der Bremer Senat empfände „auf das 
schmerzlichste‘“, daß ich mich genötigt gesehen hätte, von dem Amt des 
Reichskanzlers zurückzutreten, einem Amt, das ich während langer Jahre 
„unter zum Teil überaus schwierigen Verhältnissen‘ verwaltet hätte. Nach 
außen hätte ich unter Aufrechterhaltung des Friedens das Anschen des 
Reichs im Rate der Völker befestigt, im Innern wäre ich als Richtschnur 
dem staatsmännischen Gedanken gefolgt, die Gegensätze auszugleichen und 
einer Versöhnung der auseinandergehenden politischen Weltanschauungen 
die Wege zu ebnen und auf diese Weise darauf hinzuwirken, daß die Partei- 
kämpfe in Deutschland allmählich weniger gehässig würden. 
Ich verhehle nicht, daß das Vertrauen, dessen ich mich bei allen deutschen 
Bundesregierungen und bei allen deutschen Fürsten erfreute, daß beider 
Zufriedenheit mit meiner langen Geschäftsführung mir schon im Hinblick 
auf das launenhafte, rücksichtslose und am Ende meiner Amtszeit fast unge- 
zogene Benehmen des Kaisers Wilhelm II. eine Genugtuung war, die ich 
dankbar empfand. Bismarck hat bei der Schaffung des Reichs unsere 
Einheit und damit unsere Sicherheit und Zukunft mit Absicht und voller 
Überlegung auf die deutschen Fürsten basiert. War das ein Irrtum? Ging 
er in seiner Mißachtung für die deutschen Fraktionen und Parlamente zu 
weit? Sein Vorgehen erklärt sich nicht nur aus den Traditionen, in denen 
der Jüngling aufgewachsen war, aus dem Gefühl, mit dem der dreiund- 
achtzigjährige Greis sich auf seinem Grabstein als treuen Diener seines 
Herrn bezeichnete. Die Erfahrungen seines Lebens flößten Bismarck 
großes Mißtrauen gegen alle deutschen Parteien ein, die ihn alle, von der 
äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, durch Engherzigkeit, doktri- 
näre Befangenheit und, last not least, durch ihre spießbürgerliche Kleinlich- 
keit verstimmt hatten. Er vermißte bei allen deutschen Fraktionen den 
gesunden Menschenverstand, die Achtung vor der Vergangenheit, den 
Respekt vor Traditionen, hergebrachter Ordnung und bewährter Übung, 
die seit Jahrhunderten die englischen Parteien auszeichnen. Er vermißte 
wohl noch mehr den leidenschaftlichen Patriotismus, den jede französische, 
jede italienische Partei, wenn sie an die Front kommt, an den Tag legt. 
Er hatte sie alle, die Konservativen und die Liberalen, die Demokraten und 
die Aristokraten, mehr als einmal und oft vergeblich ermahnen müssen, den 
nationalen Gedanken über Deutschland leuchten zu lassen. Unsere Kammer- 
helden, wie er sie ironisch nannte, imponierten ihm nicht. Nach dem Fiasko, 
das der deutsche Parlamentarismus 1848/49 gemacht, nach den Blößen,
	        
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