SCHMOLLER 349
das aus der Provinz, der Ihr ganzes Interesse gehört hat.“ Der Oberhof-
meister der Kaiserin, der Freiherr von Mirbach, dessen frommer, aber
bisweilen die Grenzen politisch gebotener Umsicht überschreitender Eifer
für religiöse Zwecke ihn öfters in Gegensatz zu mir gebracht hatte, schrieb
mir aus Potsdam: „Euer Durchlaucht haben nach langer, schwerer und
erfolgreicher Arbeit die Last des mühevollen Staatsdienstes niedergelegt,
in welchem Sie Ihre ganze Kraft und Gesundheit für Ihren Kaiser und das
Reich in einem Maße und mit einer aufopfernden Hingebung eingesetzt
haben, von der sich die große Menge keine Vorstellung machen kann. Ich
gehörte zu denen, die immer noch hofften, daß Sie uns länger erhalten
blieben. Unsere Zeit ist nach innen und außen furchtbar ernst und gefahr-
drohend, und es hilft nichts, wie es viele tun, sich in vergnügtem Leben
oder mit Redensarten darüber hinwegzutäuschen. Der Kampf der Parteien
untereinander, der dämonische Einfluß des größten Teiles unserer Presse,
die Entchristlichung der großen Massen auch in den gebildeten Kreisen
erfüllt jeden, der sein Königshaus und sein Vaterland liebt, mit tiefer Sorge.
Aber in allem Kämpfen und Toben tritt eines immer klarer und deutlicher
hervor, daß es nur einen sichern Fels und festen Grund gibt, der unbeweg-
lich steht, unser Herr und Heiland. Dabei gedenke ich auch besonders
Eurer Durchlaucht von mir und meiner Frau so hochverehrten Frau
Mutter, deren fester Glaube mir stets vorbildlich war. Nur so, wie sie, kann
man in die sturmbewegten Wogen unserer Zeit ruhig und hoffend hinaus-
blicken.“
Mein langjähriger Freund, der Nationalökonom Professor Gustav
von Schmoller, schrieb: „Ich bin überzeugt, daß es ein großes Unglück
für unser Vaterland ist, daß Sie gehen. Das Deutsche Reich braucht gerade
einen solchen Steuermann, wie Sie es seit einem halben Menschenalter zum
Segen Preußens und Deutschlands waren. Sicheres, erfolgreiches Auftreten
nach außen, bei größter Kunst, einen Krieg zu vermeiden, und nach innen
eine gemäßigt konservative Regierung mit so viel liberalen und sozialen
Reformen, wie sie heute unentbehrlich sind, wenn nicht ein jäher Umsturz
folgen soll, das war die Signatur Ihrer Politik. Daß das Zentrum Sie
bekämpfte, war natürlich, daß die Liberalen nicht immer geschickt
operierten, ist begreiflich, daß aber die Konservativen Sie so im Stiche
ließen, ist nicht entschuldbar durch den Unverstand ihrer Wähler. Ich weiß
kein Beispiel so großer politischer Undankbarkeit einer großen Partei. Mag
viele der einzelnen Konservativen ihre politische Unzurechnungsfähigkeit
entschuldigen, von den Führern ist es gröbste Felonie und bornierte Kurz-
sichtigkeit. Millionen der besten Deutschen sind auf Ihrer Seite, aber wie
wenige sprechen es aus. Da ich zu denjenigen gehöre, die Ihnen schreiben
dürfen, so ertrug ich nicht, ganz zu schweigen.‘ Der Nationalökonom
Freiherr
v. Mirbach
Gustav
v. Schmoller