EIN BANKIER 351
allmählich durchsetzt. Zweitens: Vor zehn Jahren war es wilde Utopie,
von einer positiven Mitarbeit der Sozialdemokratie an unserem monarchi-
schen Staatswesen zu träumen. Dem ‚Praktiker‘ lag alles Heil in gewalt-
samer Unterdrückung. Wenn heute die friedliche Hineinarbeitung der
Arbeiterbewegung in unser Staatswesen uns als fernes, aber nicht mehr
unerreichbares Ziel vorschwebt, so verdanken wir das nicht zum wenigsten
der geschickten Behandlung dieses Problems durch Euer Durchlaucht. Sie
haben durch eine gerechte Behandlung — zuletzt Reichsvereinsgesetz —
die sozialrevolutionäre Verbitterung gemildert. Sie haben nicht minder
durch wohlangebrachten Spott der Sozialdemokratie die Maske des ‚wilden
Mannes‘ entrissen, durch welche sie dem deutschen Philister bleichen
Schrecken einjagte, sich selbst aber in ein Gefühl der Stärke hineintäuschte,
das sie der Gegenwartsarbeit — der Kunst der Kompromisse — ent-
fremdete. Drittens: Vor einem Jahrzehnt schien es wilde Utopie, die agrare
Basis der deutschen Nation, welcher überseeische Siedlungsgebiete versagt
sind, innerhalb der Reichsgrenzen vorschieben zu wollen. Vielmehr schien
der ganze Osten unseres Reichsgebietes und damit die Weltstellung
Deutschlands überhaupt durch eine unaufhaltsam vordringende polnische
Welle auf das schwerste bedroht. Euer Durchlaucht haben das Verdienst,
die ostelbische Ansiedlungsfrage als die wichtigste Daseinsfrage unserer
innerdeutschen Politik erfaßt, bekannt und gefördert zu haben. Heute ist
es nicht mehr Utopie, sondern eine praktisch zu bearbeitende Aufgabe,
den national gefährdeten Osten unserer Monarchie mit deutschen Ansied-
lungen zu durchsetzen.“
Aus den Kreisen der Bankwelt schrieb mir Ernst von Mendelssohn-
Bartholdy: „Nunmehr, wo die Würfel gefallen sind, drängt es mich,
Eurer Durchlaucht zu sagen, wie außerordentlich ich die Wendung beklage,
welche die Dinge genommen haben, und wie ich es geradezu für ein Unglück
halte, daß Deutschland die weise und erfolgreiche Leitung des Mannes ent-
behren soll, der wie kein anderer dafür gemacht ist, das oberste Steuer zu
führen. Unendlich viel schuldet die Nation Eurer Durchlaucht an Dank.
Wenn es mir am Herzen liegt, als Unus ex multis meine tiefe Trauer zum
Ausdruck zu bringen, so darf ich dies vielleicht noch mit besserem Rechte
als mancher andere tun, im Hinblick auf die öfteren wichtigen Angelegen-
heiten, die mir die Ehre verschafften, Eurer Durchlaucht näherzutreten,
und die mir in geschäftlicher sowohl wie persönlicher Beziehung unvergeß-
lich sein werden.“ Arthur von Gwinner, der Direktor der Deutschen Bank,
nebenbei gesagt der Sohn des Freundes und Biographen meines Lieblings-
philosophen Schopenhauer, schrieb: „Euer Durchlaucht wollen mir ge-
statten, daß ich das freundliche und schmerzliche Wort nachsende, das ich
am Lehrter Bahnhof persönlich aussprechen wollte. Die Polizei hatte bei
Ernst
v. Mendels-
sohn-
Bartholdy