LITERATUR 365
leidenschaft und Parlamentstaktik unberührt sind, ins Privatleben mit-
nehmen, das weiß ich aus ungezählten Äußerungen. Viele werden sich freuen,
daß esIhnen möglich ist, sich in voller Frische zurückzuziehen, weilsie daraus
die Hoffnung schöpfen, daß es dem Vaterland in zukünftigen schweren
Zeiten, deren banges Vorgefühl sehr vieleim Innersten tragen und verbergen,
an einem erfahrenen und weisen Berater und Helfer nicht fehlen wird.“
Aus Blankenese schrieb mir mein Nachbar und engerer Landsmann
Gustav Frenssen, der Dichter und Verfasser von „Jörn Uhl“ und der
„Drei Getreuen“: „Euer Durchlaucht will auch ich, dessen Freude es ist,
das Leben tapferer, ernster Menschen zu bedenken und zu erzählen, Dank
sagen für das, was Sie für das Land getan haben. In langjähriger Anhäng-
lichkeit und Verehrung bin ich Ihr ergebenster Gustav Frenssen.‘“ Ein
anderer Dichter-Freund von mir, Adolf Wilbrandt, schrieb: „Lieber,
teuerer, verehrtester Freund, ich kämpfe schon so viele Tage mit dem Trieb
und Umtrieb, Ihnen zu schreiben. So schwer ward mir nicht oft etwas.
Daß es Wahrheit werden sollte, daß wir Sie nicht mehr als Reichskanzler
haben — welches Schicksal für uns! Für mich! Denn keiner hat wohl tiefer
gefühlt, was Sie uns waren, was Sie uns bedeuten. Was für Konservative
haben wir! Oder vielmehr, wie werden sie geführt! Ich bin tief gebeugt. Im
tiefsten Innern sagt mir etwas: Sie kommen wieder. Vielleicht in vier, fünf
Jahren sind Sie wieder in der Wilhelmstraße! Ich hoffe es!“
Auch Gerhart Hauptmann sprach mir in herzlichen Worten seinen
Schmerz über meinen Rücktritt wie Sympathie und Freundschaft aus.
Der Bibliothekar der Wartburg, der Dichter Richard Voß, telegraphierte
meiner Frau: „Mit der Nation spreche ich Ihnen meine tiefbewegte Empfin-
dung aus, daß Deutschland das Unglück hat, seinen Kanzler zu verlieren
und Sie scheiden zu sehen.“
Aus der Schweiz, wo er einen Erholungsurlaub zugebracht hatte,
schrieb mir trotz seiner langjährigen nahen Beziehungen zu Wilhelm II.
der Generalsuperintendent der Kurmark, der Oberhofprediger Ernst von
Dryander: „Euer Durchlaucht wollen es nicht für Unbescheidenheit
halten, wenn ich mir gestatte, aus den Bergen, in die die Ereignisse der Zeit
erst einige Tage später gelangen, meine wärmste und zugleich schmerz-
lichste Anteilnahme an den politischen Ereignissen zum Ausdruck zu
bringen. Es drängt mich bei dem mir unverständlichen und meines Dafür-
haltens nicht in der Sache selbst begründeten Verhalten der Konservativen
Partei, deren Hospitant ich im Herrenhause bin, Euer Durchlaucht meine
volle Sympathie und den ehrerbietigsten Dank für die starke und glanzvolle
Leitung der Geschäfte des Vaterlandes auszusprechen sowie mein inniges
Bedauern, daß die großzügige, von Euer Durchlaucht übernommene
Finanzreform mit dem Resultat endet, daß, abgesehen von allen andern,
Frenssen,
Wilbrandt
Hauptmann,
Voß
Dryander