Gabriel
Monod
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das Reich der starken und zielbewußten Hand Euer Durchlaucht beraubt
wird.“ Adolf von Harnack, der, seitdem die kaiserliche Gnadensonne, an
deren Strahlen er sich so gern wärmte, mir nicht mehr leuchtete, sich lang-
sam und vorsichtig von mir zurückzog, sandte mir, wohl weil ihn meine
Frau eingeladen hatte, in der Villa Malta bei uns Wohnung zu nehmen,
wenn er im nächsten Winter in Berufspflichten nach Rom kommen würde,
einen liebenswürdigen Abschiedsgruß: „Hochverehrter Fürst und Herr!
Für alles Wohlwollen, für alles Vertrauen und für die mich beglückende
Freundschaft Ihnen aus bewegter Seele zu danken, ist mir ein tiefes Be-
dürfnis. Und lassen mich Eure Durchlaucht auch dafür danken, daß Sie in
unseren Staat mit seinen harten und bürokratischen Formen den Geist der
Humanität und der Freiheit hineingetragen haben, jener duldsamen und
freudigen Freiheit, die soviel.Gutes zu stiften und soviel Widriges zu
dulden vermag wie die Liebe. Eben diese Freiheit werden Sie und Ihre
teuere und verehrte I’rau Gemahlin auch über jedes Geschick triumphieren
lassen. Debellantes inimicos ab amicis prodimur (Während wir unsere
Feinde niederkämpfen, werden wir von unseren Freunden verraten) ist
die alte Regel, nach welcher Helden leiden. Aber was Sie geschaffen haben,
kann nicht zermalmt werden, sondern wird bleiben, teils schon jetzt, teils
als Weissagung für die Zukunft. In treuester Anhänglichkeit und tiefster
Verehrung Eurer Durchlaucht ergebenster von Harnack.“
Meine und meiner Frau Lebensfreundin, die sechs Jahre früher am
26. April 1903 verstorbene Malvida von Meysenbug, hatte, wie alle Leser
ihrer so weit verbreiteten „Memoiren einer Idealistin“ wissen, eine Adoptiv-
tochter, Olga Herzen, die Tochter des radikalen russischen Publizisten und
Agitators Alexander Iwanowitsch Herzen. Der war der Sohn eines russischen
Fürsten Jakowleff und eines schwäbischen Mägdeleins, Luischen Haag
aus Stuttgart. Herzen war von Kaiser Nikolaus, weil er Hegel gelesen hatte,
nach Sibirien verschickt worden. Alexander II. begnadigte ihn, aber nur,
um ihn in Nowgorod zu internieren. Von dort gelang es ihm, nach London
zu fliehen, wo er die Monatsrevue „Kolokol“ (die Glocke) herausgab, die
zum erstenmal im Namen der Grundsätze der Französischen Revolution
Sturm gegen den Zarismus läutete, der bis dahin nur durch Palastrevo-
lutionen und Adelsverschwörungen bekämpft worden war. Malvida hatte
ihre Adoptivtochter Olga Herzen mit einem ausgezeichneten französischen
Gelehrten, dem Historiker, Direktor der Revue historique und der Ecole
normale in Paris, Gabriel Monod, vermählt. Ein patriotischer Franzose,
war cr gleichzeitig aus Gründen der Humanität wie der Vernunft ein auf-
richtiger Friedensfreund. Er schrieb an meine Frau: „Nous avons suivi les
€venements de la dernitre semaine avec une vive sympathie, sympathie qui
n’ctait pas seulement dict€e par notre amitie pour Monsieur de Bulow et