Französische
Presse
370 DAS AUSLAND
hieß weiterin dem Leitartikel des großen englischen Blattes: „Im gegen-
wärtigen Moment ist die deutsche Macht wieder verhältnismäßig so vor-
herrschend in Europa wie in den stärksten Phasen der Bismarckschen
Regierung. Es ist vor allem eine Tatsache, daß zur Stunde die Stellung des
Deutschen Reiches in jeder Hinsicht glänzender, gedeihlicher und macht-
voller ist als zu der Zeit, da Fürst Bülow sein Amt antrat.‘ In englischen
Augen, führte das Londoner Blatt weiter aus, wäre es das Merkwürdigste an
dem Fürsten Bülow gewesen, daß er, ein Staatsmann ohne parlamentarische
Erfahrung, sich sofort als der beste parlamentarische Sprecher des Fest-
landes mit der alleinigen Ausnahme Clemenceaus betätigt habe. Neben
seinem dialektischen Geschick habe er einen Schatz von gesundem Men-
schenverstand in den Geschäften bewiesen. Der Artikel schloß mit dem Aus-
druck der Besorgnis, daß nach dem Rücktritt des Fürsten Bülow die per-
sönliche Initiative des Deutschen Kaisers mehr als früher der überwiegende
Einfluß im Staate sein würde. Die persönlichen Beziehungen dieses Kanzlers
zu seinem Souverän wären immer schwieriger geworden, was im Interesse
des Friedens bedauerlich gewesen sei, denn die vorbeugende Wirksamkeit
der Staatsklughbeit des Fürsten Bülow würde voraussichtlich einmal als
höchst wertvoll zutage treten.
Sehr amüsierte mich das nachstehende Porträt, das der Pariser „Figaro“
von mir gab: „Ein vollendeter Turnkünstler, Flötenspieler und Seiltänzer,
ein ausgezeichneter Improvisator, ein offener, aber von keinem Skrupel
zurückgehaltener Geist. Eher träge von Natur, aber mit einem durch den
Erhaltungstrieb in Spannung gehaltenen Willen, von wunderbarer Geschick-
lichkeit zur Umkehr. Wenn die Schwierigkeiten kommen, ist er sicherlich
nicht derjenige, den die Widersprüche und Schwenkungen in Verlegenheit
setzen.“ Der grundsätzlich sehr deutschfeindliche „Temps“, das ein-
flußreichste französische Blatt, schloß nach einer Anerkennung der
großen persönlichen Eigenschaften, die den Fürsten Bülow ausgezeichnet
hätten, seinen Artikel über dessen auswärtige Politik mit den Worten:
„Auch diejenigen, und Frankreich gehört dazu, die sich nicht immer über
ihn zu freuen hatten, verschließen die Augen nicht seinen Verdiensten, und
sie erinnern sich, daß er wenigstens Schmiegsamkeit genug besaß, um die
äußersten Krisen zu vermeiden, die aus geringfügigen Gründen Frankreich
und Deutschland aneinandergebracht hätten.“
Ich batte nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich die Ostmarkenfrage
für die wichtigste Frage der inneren preußischen Politik hielte, daß ich sie
als eine Lebensfrage des deutschen Volkes betrachtete und als solche
behandelte. Aus keinem Teil des Vaterlandes gingen mir beim Ausscheiden
so viele und so herzliche Kundgebungen des Bedauerns zu wie aus dem
Osten der Monarchie; freilich auch Zuschriften, bei denen der Unterton der