Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

EINE VERFEHLUNG 23 
mit sich reißt, die ist ihm wohl ganz versagt. Seine Frau erzählte mir einmal, 
welche stunden- und tagelangen Schmerzen ihm die Vorbereitung jeder 
Rede mache.“ 
Professor Hermann Oncken, der Biograph von Rudolf von Bennigsen, 
übersandte mir einen von ihm veröffentlichten Artikel über die innere Lage 
in Deutschland. In meiner Antwort führte ich im Hinblick auf manche 
irrigen Anschauungen, die in liberalen Kreisen über meine innerpolitischen 
Richtlinien bestanden, das Nachstehende aus: „Ich weiß, daß in liberalen 
Kreisen mein konsequentes und bewußtes Eintreten für die Landwirtschaft 
und die Rücksicht, die ich in politischen Fragen auf die konservative Partei 
genommen habe — soweit dies im Rahmen des Gesamtwohls 
möglich war! —, vielfach getadelt worden ist. Die Gründe, die mich 
hierbei geführt haben, sind nicht auf Erziehung, Tradition, Influence du 
milieu zurückzuführen, sondern darauf, daß ich an leitender Stelle es für 
meine Hauptpflicht betrachtet habe, die spät und mühsam errungene 
Weltstellung des deutschen Volkes zu sichern. Ein überstürzter Übergang 
zum reinen Industrie- und Handelsstaat unter Vernachlässigung und Zu- 
rückdrängung der Landwirtschaft würde in Deutschland meines Erachtens 
ähnlich wirken wie in einem Segelschiff die Entfernung des Ballasts bei 
fortgesetzter Erhöhung der Masten und immer fortschreitender Ver- 
mehrung der Segel. Solange die Sozialdemokratie so dogmatisch, so 
unpolitisch und unnational bleibt, wie sie es leider in Deutschland in ihrer 
Mehrheit noch ist, und solange sie ihren gegenwärtigen überragenden 
Einfluß auf den Industriearbeiter behauptet, bedürfen wir doppelt des 
Gegengewichts der ländlichen Bevölkerung. Und solange es den liberalen 
Parteien noch schwerfällt, losgelöst von überkommenen Theorien prak- 
tische Politik zu treiben, können wir nicht das Kapital von politischer 
Energie und Erfahrung missen, über das die Konservativen verfügen. Daß 
ich aber andererseits die Mitwirkung des Liberalismus in unserem öffent- 
lichen Leben für nützlich und für notwendig halte, habe ich durch die Tat 
bewiesen, durch meine Amtsführung wie durch meinen Rücktritt. Von der 
Politisierung der Liberalen und der Modernisierung der Konservativen — 
verzeihen Sie die beiden unschönen Fremdworte — hängt unsere Zu- 
kunft ab.“ 
Wie ich bei der Schilderung meiner Abschiedsaudienz im „‚Grünen Hut“ 
schon erwähnte, bezeichnete Wilhelm II. gegenüber den Vertretern der 
größeren Bundesstaaten als eine meiner schweren Verfehlungen, die ihn 
zum Bruch mit mir genötigt hätten, die Tatsache, daß das Auswärtige 
Amt (nicht etwa auf meine Veranlassung, sondern aus eigenem Antrieb) 
den Legationsrat vom Rath für den Charakter als Ministerresident in 
Vorschlag gebracht hatte, nebenbei gesagt ein sehr bescheidener Gnaden- 
Liberalismus 
und Konser- 
valtismus
	        
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