Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Dr. Riezler- 
Rüdorffer 
24 DAS STUBENMÄDCHEN IN WINDSOR 
beweis. Ich lasse jetzt einen Brief folgen, den Herr vom Rath am 28. Juni 
1909 an einen Herrn meiner Umgebung richtete und aus dem hervorgehen 
dürfte, daß dieser von Wilhelm II. so ungnädig beurteilte, übrigens nicht 
lange nach meinem Rücktritt verstorbene Beamte Menschen und Dinge 
richtiger sah als die Männer, denen der Kaiser sein Ohr lich: „Erst 
heute erfahre ich in meiner ländlichen Abgeschiedenheit, daß der Kanzler 
seinen Abschied erbeten hat und daß dessen Annahme zu erwarten ist. Im 
ersten Moment überwiegt das Gefühl der Befriedigung über diesen Schritt 
des Kanzlers sogar die Besorgnis, was nun werden soll. Letztere ist aller- 
dings groß. Wo ist der Erbe des Vertrauens, das Fürst Bülow bei den 
Freunden, und der Achtung, die er bei den Gegnern erworben hat?! Aber 
Befriedigung empfinde ich darüber, mit meinem Namen und nach bester 
Überzeugung für die auswärtige und innere Politik eines Staatsmannes 
eingetreten zu sein, der seiner Überzeugung bis zuletzt treu geblieben ist. 
Des Kanzlers Bestreben, die Konservativen zu modernisieren und dadurch 
in führender Stellung zu erhalten, scheitert an ihrer eigenen kurzsichtigen 
Interessenpolitik, die sie im Volke, nicht nur bei der Masse, verhaßt macht. 
Die Bülowsche Politik des letzten Jahres hatte die Zahl der roten Mitläufer 
noch weiter dezimiert und der sozialdemokratischen Partei die wirksamsten 
Schlagworte entzogen, denn diese Politik war kräftig, gesund und kon- 
stitutionell. Unter dem Block hat die demokratische Linke sich zu einer 
gemäßigten liberalen Partei gemausert, durch die Opposition gegen die 
heutige Majorität wird sie an den äußersten linken Flügel herangedrängt 
werden. Die für die Gesamtheit so nützlichen Nationalliberalen werden 
kaltgestellt und von gesetzgeberischer Mitarbeit ausgeschaltet werden.“ 
Im Pressebüro diente während meiner Kanzlerzeit in den letzten Jahren 
ein jüngerer Beamter, Dr. Riezler, der sich durch lebhaft zur Schau 
getragene Bewunderung für mich hervortat. Er übertrug nach meinem 
Rücktritt diesen Enthusiasmus auf meinen Nachfolger, übrigens nachdem 
er mir korrekterweise schriftlich seinen ehrfurchtsvollen Dank für das 
Wohlwollen dargebracht hatte, das ich ihm während der Jahre gezeigt 
hätte, wo er das Glück gehabt habe, unter mir zu arbeiten „und zu lernen“. 
Die Kaiserin Friedrich, die Geist mit Humor verband, erzählte gern, sie 
habe einmal bei einem Rundgang durch die herrlichen Gemächer von 
Windsor ein Stubenmädchen bemerkt, das bitterlich weinte. Sie frug das 
arme Kind, ob sie etwa ihren sweet-heart, ihren Liebsten, verloren habe. 
Das Mädchen antwortete, nicht ohne eine gewisse Entrüstung: „Oh no! 
It is not for love, that I feel unhappy. Thank to God I can love any man.“ 
Riezler gehörte zu den strebsamen Leuten, die jeden lieben können und 
jeden lieben, der das Füllhorn der Gnaden in der Hand hält. Er verleugnete 
aber seine Dankbarkeit für mich, als er nicht lange vor dem Ausbruch des
	        
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