Brief des
Fürsten
Eulenburg
26 EIN GESTÜRZTER
Ebert als Kabinettschef auf. Der biedere Ebert ließ sich aber diesen
Adlatus, der ihm weder als Charakter noch als Arbeitskraft genügte, nicht
lange gefallen und setzte ihm bald den Stuhl vor die Tür.
Unter so manchen Beweisen von Wohlwollen und Anerkennung, die ich
bei meinem Rücktritt erhielt, berührte mich wehmütig und schmerzlich
ein Brief von Philipp Eulenburg. Ich hatte mich bemüht, soweit dies
im Rahmen meiner Amtspflicht zulässig war, ihm während seiner gegen
meinen Wunsch und trotz meines dringenden Abratens angestrengten
Prozesse und insbesondere nachdem in Folge der Aussage eines Starn-
berger Fischers seine Verhaftung erfolgt war, sein bitteres Los zu er-
leichtern, wobei mir Renvers, der Arzt und Menschenfreund, behilflich war.
Geschen hatte ich den armen Phili nicht mehr, scitdem ich in meinem
Prozeß gegen den „Schriftsteller‘‘ Brandt seine melancholische Gestalt im
Hintergrunde des Gerichtssaales erblickte. Nach meinem Rücktritt erhielt
ich von ihm den nachstehenden Brief:
„Lieber Bernhard, ich habe Dir seinerzeit geschrieben oder durch
Alfred mitteilen lassen, daß ich Dir nicht schreiben würde, solange Du
im Amte seiest. Ich fand, daß cs meine Freundschaftspflicht sei, Dir
nicht durch irgend etwas die Schwierigkeiten zu vergrößern, die Dir,
in einer grausamen Verkettung von Umständen, durch unsere alte,
hundertfach bewährte Freundschaft erwachsen waren. Auch heute noch
hätte ich Dir nicht geschrieben, wenn mir nicht der Zufall eine Zei-
tungsnotiz in die Hand gespielt haben würde, wonach Du in den nächsten
Tagen mit Deinem Bruder Alfred in Bern vereint sein würdest. Es
packte mich eine heiße Sehnsucht, wie in alter Zeit in Eurer lieben
Mitte sein zu können! Und da ich Alfred längst schreiben wollte, ent-
stand nun auch dieser Brief an Dich, der keinen besonderen Zweck zu
erfüllen hat. Immerhin soll er Dir einiges sagen, was mich Deinetwegen
beschäftigt. Mein Schicksal will ich versuchen mit Schweigen zu übergehen.
Du hast so viel, mein Glück, mein Empfinden und Denken — meine Mutter,
meine Kinder, Augusta — gekannt, um genau zu wissen, wie nun dieses
mein Schicksal ist. Und ich meine, Du bist nicht der Mensch, der vergessen
könnte, was uns verbindet. Ich lese als einzige Zeitung den ‚Tag‘. Bei
meinem bis zur Übelkeit gesteigerten Widerwillen gegen Politik wählte
ich dieses unpolitische Blatt, um ungefähr zu wissen, wie es in der Welt
aussieht. Und zwischen den Zeilen zu lesen haben wir ja beide gelernt.
Darum habe ich auch Deinen Wegen genau folgen können. Deinen Rück-
tritt betrachte ich als ein nationales Unglück, und ich habe das
Gefühl, nun auf einem Schiff zu fahren, auf dem der Kapitän ein
Schauspieler, der erste Steuermann ein Alpinist ist. Der Kapitän glaubt
überdies, daß es le moment venu sei, um durch eine ‚kolossale‘ Fahrt