DER KAPITÄN RUFT NICHT ZURÜCK 27
einen neuen ‚Rekord‘ zu schaffen, nachdem sein erster Rekord in die
Brüche ging. Es ist der Augenblick eingetreten, den wir beide oft kommen
sahen, nicht ohne Schaudern. Dir gönne ich die Freiheit von Herzen, Du
wirst ja nun auch besser verstehen können, wie jemand zumute sein muß,
dem auch diese ersehnte Freiheit in Trümmer geschlagen wurde. Übrigens
wird der Kapitän Dich nicht zurückrufen, wenn er nicht muß. Das könnte
allerdings wohl einmal eintreten. Ein gewisser Max Fürstenberg trägt
wesentlich die Schuld an der Wendung der Dinge, soweit sie Dich
betreffen. Ich habe darüber sichere Kunde aus seinem früheren und
jetzigen engeren Vaterland. Wohl haben die Konservativen große
Dummheiten gemacht — aber der Schwerpunkt liegt doch woanders, und
diejenigen haben das Hornsignal gegeben, die im ersten Garderegiment die
Muttermilch tranken. Im übrigen kann ich Dir nicht ersparen, auch Dir
einen Vorwurf zu machen: So wie Holstein mir mein Grab schaufelte, weil
ich ihn zu wenig fürchtete (und wie oft denke ich an Deine Warnungen!) —
so hat er Dir, wenn auch unabsichtlich, die Lokomotive zur Abreise geheizt,
indem Du ihn zu schr gefürchtet hast. Auch erlaube ich mir die Bemerkung,
daß cs mich von einem so gründlichen Kenner der Deutschen gewundert
hat, mit dem so vernünftigen Gedanken des Blocks zu operieren.
Werden die Deutschen dafür jemals reif werden? Wie unausgesetzt man in
Briefen über Briefen versucht hat, mich zu überzeugen, daß Du der
Urheber alles meines und der Meinen Unglücks seist, kannst Du Dir ja
denken. Es ist vielen Menschen geradezu ein Greuel, feste und unwandel-
bare Treue zu schen, die sich durch nichts beirren läßt. Es nutzte durchaus
nicht meine Versicherung, daß Du der letzte seist, der auf sein Gewissen
die Schuld laden könnte, gerade mich und die Meinen zu verraten. Ich hatte
nur in einer Richtung einen schweren Stand (weil ich selbst es niemals
verstanden habe), daß die ofiziöse — und auch die offizielle — Presse nicht
für einen der ersten Beamten des Reichs eingetreten ist und den Kampf
mit der Skandalpresse aufgenommen und durchgefochten hat. Denn es
hatte sich doch von Anfang an zu einer Machtfrage zugespitzt: Presse oder
Regierung. Und die Presse siegte. Auch in den Novembertagen. Niemals
wird die Regierung dieses einmal verlorene Terrain wiedergewinnen.
Einhundertundfünfundvierzig Anschuldigungen gegen mich hat Harden
schön gedruckt dem Gericht zugesendet. Zwei von den hundertfünfund-
vierzig, die sich alle als Lüge offenbar enthüllten, sollten mir den Hals
brechen — zwei elende Lügen von den hundertfünfundvierzig andern, die
in Neid und Gift meine eigenen Standesgenossen erfanden und zu Herrn
Harden trugen!! — Jetzt bin ich zu Tod krank und vermag kaum noch zu
hoffen, den Prozeß durchzuführen, der mir mit absoluter Sicherheit Frei-
sprechung bringen muß. Aber angesichts der Tatsache des Verhältnisses