28 PARAGRAPH HUNDERTFÜNFUNDSIEBZIG
145 zu 2 war doch wohl die ofhiziöse Presse durchaus in der Lage, sofort den
Kampf aufzunehmen. Aber ich habe oft an Deine Mahnung denken müssen,
daß ich einer der gehaßtesten Menschen in Deutschland sei. Nun, meine
Freunde wissen, ob ich das verdient habe! Ich spreche nicht von den
ungeheuerlichen Dummheiten, die von Anbeginn an die Generals-Kamarilla
anrichtete und die auch Dir schließlich die Hände gebunden haben.
Glaubst Du wohl, daß unter Albedyli und dem alten Herrn solche Dinge
möglich gewesen wären? Scheußliche Mischung von Haß, Feigheit, Neid
und Kurzsichtigkeit. Doch genug davon! Ich will Dir nur sagen, daß ich
Dich in Gedanken nach der Villa Malta begleite, das Glücksgefübl Deiner
lieben, gütigen Frau im Geiste vor mir sehe. Möchte Euch nichts den Genuß
trüben und die gütige Donna Laura Euch frisch und gesund in ihrem seligen
Empfinden umarmen! Wie wird Deine liebe Frau im Herrichten der Villa
Malta schwelgen, und wie schön wird es werden. Vermagst Du es über Dich,
so schreibe mir einmal von Rom aus Euerm Leben. Ich bin ein toter
Mann. Doch besucht man ja um des Toten willen bisweilen einen Kirchhof.
Es kostete mich dieser lange Brief viel Nerven und körperliche Qual. Aber
es tat mir wohl, nach langer Zeit mit Dir in alter Art zu sprechen. Nun ist
es genug.“
Als ich diesen Brief las, der zwischen Sophismen und einigen Unwahr-
heiten auch echte und schöne Gefühle und kluge Gedanken zum Ausdruck
brachte und der in mir von neuem inniges Mitleid für den alten Freund
erweckte, dem die Götter neben gefährlichen Neigungen auch reiche Gaben,
einen ungewöhnlichen Charme, edle Eigenschaften in die Wiege gelegt
hatten, drängte sich mir wieder die Frage auf, die zwei Jahre vorher,
während der seinerzeit von mir erwähnten unerquicklichen Prozesse, an
mein Gewissen gepocht hatte: Hat der Staat die Pflicht, hat er auch nur
das Recht, anormalen Trieben das Brandmal der Infamie aufzudrücken ?
Als in mir in jener Zeit eine von vielen Intellektuellen unterschriebene
Adresse zuging, die für die Aufhebung des 8 175 plädierte, frug ich Renvers,
wie sich nach seiner Meinung der Staat zu diesem Problem zu stellen habe.
Er antwortete mir: „Als Arzt muß ich Ihnen sagen, daß, rein wissenschaft-
lich betrachtet, der anormale Trieb ebenso berechtigt ist wie der normale.
Ich brauche Sie auch nicht daran zu erinnern, daß die Antike die Schwär-
merei des Kaisers Hadrian für den schönen und melancholischen Antinous
ebenso in der Ordnung fand wie die Leidenschaft des Marcus Antonius für
die bezaubernde Kleopatra. Aber als Staatsbürger protestiere ich gegen die
Gleichstellung. Wenn das Gesetz die Perversität nicht mehr brandmarkt,
wird die sittliche Gesundheit des Volkes wie die physische gefährdet.‘ Diese
Antwort bestärkte mich in dem Entschluß, die auf Aufhebung des $ 175
gerichteten Wünsche und Bestrebungen abzulehnen. Wozu freilich mein