Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

HISTORISCHE PERSPEKTIVEN 29 
intensiver, innerlicher Widerwille gegen alles Widernatürliche beigetragen 
haben mag. 
Ich antwortete Eulenburg: „Lieber Phili, Dein in Bern erhaltener Brief 
hat mich sehr bewegt. Aufrichtig und groß ist die Verehrung, die ich für 
Deine teure Mutter und Deine liebe und treffliche Frau empfinde. Herz- 
lichen Anteil nehme ich an dem Ergehen Deiner guten Kinder. Während 
langer Jahre waren wir in treuer Freundschaft verbunden. Wie könnte ich 
ohne Mitgefühl sein für Deine Leiden! Was möglich war innerhalb der 
Grenzen, die mir die Pflicht meines Amtes zog, habe ich getan, um die tief- 
traurigen Vorgänge zu verhindern, die mir auch menschlich zu Herzen 
gingen. Ich habe getan, was ich vermochte, um Deine Lage zu mildern. Ich 
hoffe von Herzen, daß die Liebe der Deinen Dich tröste und der Gedanke 
Dich stärke, wie die göttliche Güte und das göttliche Erbarmen größer sind 
als alles Elend auf dieser armen Erde. Ich habe ein schweres Jahr hinter 
wir. Von Kindheit an in den Sielen und während zwölf Jahren in ununter- 
brochener Anspannung, bedarf ich jetzt des Ausruhens und der Erholung. 
Ich habe als Aufenthaltsort Rom gewählt, weil die großen historischen Per- 
spektiven dieser Stadt zu philosophischer Betrachtung leiten und die ge- 
schichtlichen Studien begünstigen, die mich immer angezogen haben. In 
Rom ist alles große Vergangenheit, und deshalb entrückt diese Stadt der 
Gegenwart. Ich lese viel. Ich habe im Sommer die sechs Bände von Gorce: 
Histoire du second Empire, gelesen und bin jetzt an das noch dickleibigere 
Werk von Gregorovius über die Geschichte Roms im Mittelalter gegangen. 
Ich lese auch wieder die Alten: Virgil, Sallust, vor allem Tacitus und Homer. 
Ich habe die Klassiker immer besonders geliebt, und hier, an ihrer Wiege, 
werden sie mir noch lebendiger. Goethe sagte einmal, erst am Mittelmeer 
habe er Odyssee und Ilias verstanden. Das kann ich ihm nachfühlen. — 
Meine Schwiegermutter ist schon achtzig Jahre alt. In ihrem hohen Alter 
ist sie dankbar, für die ihr noch vergönnte kurze Lebensspanne ihre Tochter 
in ihrer Nähe zu haben. Meine Frau ist müde von dem zwölfjährigen, un- 
ruhigen und aufreibenden Treiben, das von einer (sogenannten) hohen 
Stellung in der Reichshauptstadt nun einmal unzertrennlich ist. Sie will 
hier gar nicht weltlich leben. Sie sucht die Freude wie den Trost unserer 
irdischen Tage im Unpersönlichen, in Musik und Gärtnerei. Das Wicder- 
sehen mit Alfred und den Seinigen war sehr rührend. Die große Trauer, die 
durch den Tod des Bräutigams ihrer ältesten Tochter über sie kam, ist noch 
nicht von ihnen gewichen. Gott schütze die Deinigen und gebe Dir Frieden. 
Dein Bernhard B.“ 
Nachdem sich Philipp Eulenburg während der vielen Jahre, die zwischen 
der Unterbrechung des wegen Meineids gegen ihn angestrengten Verfahrens 
und seinem Tode liegen, nicht dazu hatte aufraffen können, die Wieder-
	        
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