Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

IV. KAPITEL 
Charakterstudien anläßlich des Rücktritts + Tschirschky « Schön » Kiderlen . Rado- 
witz + Jagow » Monts - Flotow » Walter Rathenau, sein Verhültnis zum Kaiser 
und zur Republik 
ch hatte während der Krankheit des edlen Kaisers Friedrich wie nach 
dem Sturz des großen Fürsten Bismarck zu tiefe Einblicke in die Ge- 
sinnungslosigkeit und Erbärmlichkeit der Menschen und vor allem der so- 
genannten Weltmenschen gewonnen, um mich zu wundern oder gar zu 
betrüben, daß bei manchen meiner Verehrer auf ihre früher mit Schwung 
und Lust für mich zur Schau getragene Bewunderung mein Rücktritt sehr 
abkühlend wirkte. Tschirschky, der, als ich ihn zum Gesandten befördert 
hatte, seiner „tiefen Dankbarkeit“ für mein „gnädiges Wohlwollen‘ empha- 
tischen Ausdruck gegeben und mich seiner „unwandelbaren‘ Anhänglich- 
keit seitdem bei jeder Gelegenheit schriftlich und mündlich versichert hatte, 
benutzte den Besuch, den Kaiser Wilhelm II. im Mai 1909 in Wien ab- 
stattete, um Seiner Majestät zu sagen, wie „unsäglich“ er während des 
Novembersturms um seinen kaiserlichen Herrn gelitten hätte. Der Kaiser, 
der, wie ich noch einmal hervorheben möchte, einen naiven Zug besaß, der 
mich immer wieder mit ihm aussöhnte, erzählte mir selbst sehr gerührt 
diesen Beweis „felsenfester“ Treue seines Wiener Botschafters, dem er zum 
Dank sein Bild in kostbarem Rahmen und mit einer schmeichelhaften Wid- 
mung verlieh, von dem ich aber nie wieder ein Lebenszeichen erhalten habe. 
Ich erwähnte schon, daß, als der Novembersturm einsetzte und gleich- 
zeitig die bosnische Krise sich zuspitzte, der Staatssekretär von Schön 
sich ins Bett legte. Als der Sturm vorüber war und ich auch die bosnische 
Krisis überwunden hatte, tauchte Schön wieder auf. Er hatte mich einst 
seiner „ehrerbietigsten, wärmsten Erkenntlichkeit‘ versichert und hinzu- 
gefügt, er werde „alle seine Kraft‘‘ daransetzen, sich solchen Wohlwollens 
würdig zu erweisen, wohl wissend, wieviel er meiner Fürsprache, meinem 
gütigen Interesse verdanke. Jetzt erzählte ‚le Baron de Schoen“ dem Kaiser 
von seinen, in Wirklichkeit gar nicht vorhandenen, persönlichen Ver- 
diensten um die Beilegung der bosnischen Schwierigkeit und hielt gegen- 
über Seiner Majestät nicht zurück mit scharfer Kritik meiner, gegenüber 
Tschirschky, 
Schön, 
Kiderlen
	        
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