Johannes
von Flotow
36 DIE GÜTIGE HAND
zu tief, erfüllt mich zu sehr mit Gefühlen der Wehmut und Sorge. Ab-
gesehen von dem persönlichen Bedauern, mit dem ich den Verlust eines
verehrten Vorgesetzten beklage, stellt sich dem Patriotismus die Frage:
Wie wird das Staatsschiff die führende Hand des bewährten Steuermanns
entbehren können? Und Sie selbst werden das alte Haus in der Wilhelm-
straße, in dem Sie sich ein so schönes Heim geschaffen, schließlich auch
nicht ohne Wehmut verlassen. Die langen Jahre, die Sie es bewohnten,
haben neben vielfacher Last Ihnen doch auch manche Freude und reiche
Erfolge gebracht, und es knüpft sich daran die Erinnerung so vieler schöner,
harmonischer Stunden, die Sie sich und anderen zu bereiten wußten. Ich
selbst habe so oft an dem Genuß, in Ihrem Kreise zu weilen, teilnehmen
dürfen, daß ich Ihnen dafür, wie für alle Güte, die Sie mir erwiesen haben,
heute nochmals meinen innigsten Dank sagen muß! Auch möchte ich Sie
bitten, dem Fürsten mit dem aufrichtigsten Bedauern über den Verlust,
den wir erleiden, den Ausdruck meiner treuesten und tiefgefühlten Dank-
barkeit für das reiche Maß von Wohlwollen zu übermitteln, das er mir stets
hat zuteil werden lassen von dem Augenblick an, da ich vor vierzehn Jahren
hier als Attache eintrat, bis heute, wo ich, geführt von seiner gütigen Hand,
mich auf diesem schönen Posten befinde. Ich werde diese Dankesschuld
nie vergessen! Ein kleiner Trost ist die frohe Aussicht, Sie nun im Winter
in der Ewigen Stadt begrüßen zu können! Ganz Rom freut sich mit mir
darauf. Mit dem Ausdruck meiner treuen und dankbaren Verehrung für Sie
und den Fürsten bleibe ich, gnädigste Frau Fürstin, stets Eurer Durch-
laucht gehorsamster Jagow.“
Ich muß leider feststellen, daß diese Versicherungen treuester und
tiefgefühlter Dankbarkeit, denen Gottlieb Jagow so gefühlvollen Aus-
druck gab, nicht standhielten, als sie im Winter 1914/1915 auf die Probe
gestellt wurden. Jagow hatte sich willig von meiner gütigen Hand aus
bescheidenen Niederungen auf die Höhe der großen Stellung eines Bot-
schafters führen lassen. Dort angelangt, verleugnete er in entscheidender
Stunde die Dankesschuld, die er früher gern betonte. Ich bedaure das
nicht für mich, der ich persönlich Trost in dem erleichternden Gefühl
gründlicher Mißachtung zu finden gelernt habe, wohl aber für das Vater-
land, dem, wie ich später darlegen werde, das Verhalten des Staatssekretärs
von Jagow gegen mich schweren Schaden gebracht hat.
Jagow hatte einen gleichaltrigen Freund, Johannes von Flotow.
Arcades ambo. Sie hatten zusammen die Ritterakademie in Brandenburg
an der Havel besucht. Beide hatten dann feudalen Korps angehört, Jagow
den Bonner Borussen, Flotow den Saxoborussen in Heidelberg. Sie waren
gleichzeitig in den diplomatischen Dienst eingetreten. Sie glichen sich auch
in Kränklichkeit und ständiger Sorge um die eigene Gesundheit. Sie hatten