EINE LUSTSPIELSZENE 37
beide etwas Stilles und Scheues, waren aber innerlich Streber in des Wortes
verwegenster Bedeutung. In der schwärmerischen Liebe, die sie verband,
glichen sie den herrlichen Jünglingen der Aeneis, Nisus und Euryalus, denen
Virgil ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat:
Fortunati ambo. Si quid mea carmina possunt
Nulla dies unguam memori vos eximet alvo,
Dum domus Aeneae Capitoli immobile saxum
Accolet, imperiumque pater Romanus habebit.
Freilich waren Jagow und Flotow lange nicht so schön wie die Helden
der Aeneis. Sie hatten beide, als sie sich, spät, als angehende Fünfziger,
unter Hymens sanftes Joch beugten, gleichaltrige Wahlen getroffen.
Jagow führte eine einundvierzigjährige Jungfrau, Flotow eine neunund-
vierzigjährige Witwe zum Altar. Als mein Personaldezernent hatte
Flotow während der letzten Monate meiner Amtszeit meine Geduld und
meine allerseits anerkannte, bisweilen mir sogar vorgeworfene Höflich-
keit auf eine schwere Probe gestellt, weil er durchaus vor meinem Rück-
tritt noch rasch einen Gesandtenposten erhaschen wollte. Zu diesem Zweck
suchte er bald diesen, bald jenen Gesandten aus seinem Nest zu ver-
scheuchen, um sich selbst hineinzusetzen. Er hatte sein Auge zunächst auf
München geworfen, wo damals als Gesandter Karl von Schlözer wirkte,
ein Neffe des ausgezeichneten langjährigen Gesandten in Washington und
beim Vatikan Kurd von Schlözer, bekannt durch seine wertvollen histo-
rischen Abhandlungen über die Beziehungen zwischen Friedrich dem
Großen und Katharina II. und über die Geschichte der deutschen Ostsee-
länder, noch bekannter durch seine reizenden römischen Briefe, vor allem
allgemein geachtet wegen seiner unerschütterlichen Treue für Bismarck,
dem er einst in St. Petersburg ein unbequemer Untergebener, später ein
tüchtiges diplomatisches Werkzeug war und dem er nach dessen Sturz die
Treue hielt. Sein Neffe, Karl von Schlözer, hat auch ein hübsches Buch
geschrieben, die Humoreske „Aus Dur und Moll“. Er war, wie sein Onkel,
sehr witzig. Als er sich in Kairo mit einer liebenswürdigen Rheinländerin
verlobte, zeigte er mir dies mit den Worten an: „Auch ich habe meine
Schlacht an den Pyramiden gewonnen.“ Als ich zurücktrat, dankte er mir
ganz besonders, daß ich ihn vor „giftigen Floh-tow-stichen“ geschützt hätte.
Als Flotow sah, daß München nicht für ihn zu erlangen war, wandte er seine
Blicke nach Karlsruhe, der badischen Residenz, weniger glänzend als Mün-
chen, aber auch ein behaglicher Posten. Das führte zu einer Szene, die fast
etwas Lustspielartiges hatte. Der preußische Gesandte in Karlsruhe, Herr
von Eisendecher, der dort seit einem Vierteljahrhundert tätig war,
fühlte, als er seine silberne Hochzeit mit der badischen Hauptstadt feierte,