Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DER JEUNE PREMIER 39 
Bekannten eingefunden hatten, auch der Regierungspräsident von Aurich 
und spätere tüchtige Oberpräsident von Westfalen, Prinz Karl Ratibor, der 
vom Festland herübergekommen war, um mich zu begrüßen. Zu Tisch aber 
erschien Flotow und blieb unter allerlei Vorwänden noch etwa eine Woche. 
Wie ich später in Berlin hörte, war er geblieben, um in täglichen Briefen 
nach Berlin über mein Leben und Verhalten zu berichten. Er konnte freilich 
nicht viel anderes melden, als daß ich vormittags zu Hause bliebe und nach- 
mittags spazierenritte. Er war aber sehr aufgeregt, als sechshundert Beamte 
aller Kategorien aus Wilhelmshaven in Norderney erschienen, um mir eine 
Dank- und Huldigungsadresse zu überreichen, und beruhigte sich auch 
nicht, als ich den braven Männern in einer herzlichen, aber völlig unpoli- 
tischen Rede dankte, in der ich nur darauf hinwies, daß ich als alter Be- 
amter wisse, was unser Land an seiner Beamtenschaft habe. Es sei doch 
eigentlich „nicht ganz korrekt‘, meinte Flotow, daß „einem im Ruhestand 
befindlichen Staatsminister“ Adressen überreicht und Ovationen bereitet 
würden. 
Als Flotow endlich aufgehört hatte, mich und unsere Villa zu um- 
schleichen, und nach Berlin zurückgekehrt war, um dort die Jagd nach 
einem guten Posten fortzusetzen, erschien bei uns der erste erwünschte Be- 
such, den ich nach meinem Rücktritt in Norderney erhielt. Es war Walter 
Rathenau, ein ungewöhnlich begabter Mann und zweifellos nicht ohne 
Noblesse der Gesinnung, die mich, nachdem ich Flotow noch einmal hatte 
sehen müssen, doppelt sympathisch berührte. Ich hatte seine Bekannt- 
schaft zwei Jahre vorher durch Bernhard Dernburg gemacht, der mich 
nicht lange nach seiner Ernennung zum Leiter der Kolonialabteilung des 
Auswärtigen Amts frug, ob ich geneigt wäre, seinen besten Freund, den 
Dr. Walter Rathenau, zu empfangen. Ich entgegnete, daß es mir eine 
Freude sein würde, den Sohn des von mir hochgeschätzten Generaldirektors 
der A.E.G. kennenzulernen, zumal ich von seiner Begabung schon mancher- 
lei gehört hatte. Als ich am nächsten Nachmittag auf der Terrasse des 
Reichskanzlerpalais saß, die, neben meinem Amtszimmer gelegen, mir im 
Sommer ein angenehmer Aufenthalt war, trat, von einem meiner Diener 
geleitet, Walter Rathenau zum erstenmal vor mich. Er war damals kaum 
vierzig Jahre, sah aber älter aus. Eine sehr sympathische Erscheinung. Er 
war tadellos angezogen. Er näherte sich mir mit einer gleichfalls tadellosen 
Verbeugung, in der Haltung eines jeune Premier des Theätre-Frangais, 
Delaunay oder Guitry, der in einem Stück von Emile Augier oder Victorien 
Sardou bei dem strengen Vater um die Hand der angebeteten Tochter an- 
hält. „Eure Durchlaucht“, begann er mit wohltönendem Organ und indem 
er die rechte Hand auf die linke Brust legte, „bevor ich der Gunst eines 
Empfangs gewürdigt werde, eine Erklärung, die zugleich ein Geständnis 
Walter 
Rathenau
	        
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