Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

40 RATHENAU UND DERNBURG 
ist.“ Er machte eine kleine Pause, dann, mit schönem Ausdruck: „Durch- 
laucht, ich bin Jude!“ Ich entgegnete, daß ich keinen Anlaß gegeben hätte, 
bei mir Vorurteile und insbesondere antisemitische Tendenzen vorauszu- 
setzen. „Von dem Fürsten Bülow“, meinte Walter Rathenau, indem er sich 
nochmals und feierlich verbeugte, „habe ich diese edle Antwort erwartet.“ 
Er blieb lange. Wir führten ein angeregtes Gespräch de omni re scibili, dem 
manche ähnliche Unterhaltung in Berlin, Norderney und Rom folgen sollte. 
Walter Rathenau wurde ein gerngesehener Gast in meinem Hause. Er 
war glänzend begabt. Er besaß eine ungewöhnliche Aufnahme- und Adap- 
tionsfähigkeit, er war vor allem ungemein vielseitig. In Italien ist noch das 
Andenken des Giovanni Pico della Mirandola lebendig, der in der Blütezeit 
der Renaissance lebte. Pico sprach Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Chal- 
däisch und Arabisch gleich geläufig. Er wollte die Philosophie mit der 
Religion, die aristotelische mit der platonischen Doktrin versöhnen und 
begründete seine Ansichten in einer Streitschrift mit neunundneunzig 
Thesen, den berühmten und gefürchteten Conclusiones philosophicae, 
cabbalisticae et theologicae. An solche Vielseitigkeit reichte Walter 
Rathenau nicht heran, aber er sprach gleich beredt und gleich gern über 
den ihm geistesverwandten, jüdisch-hellenistischen Philosophen Philo aus 
Alexandria wie über die letzte Börsenoperation des Hauses Bleichröder, 
über eine technische Erfindung wie über ein Bild seines Vetters Max Lieber- 
mann. Ich kann nicht bestreiten, daß gegenüber dem Multa das Multum 
bei Walter Rathenau bisweilen zu kurz kam. Sein Vater, der Schöpfer und 
Leiter der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, Emil Rathenau, hat mir 
alles in allem einen bedeutenderen Eindruck gemacht als der Sohn, von 
dem er gesagt haben soll, dieser sei ein Baum, der mehr Blüten als Früchte 
trage. Wenigstens für die Politik fehlte Walter Rathenau der Wirklich- 
keitssinn, die Nüchternheit, die ruhige Stetigkeit, vor allem die Sachlich- 
keit. Ich glaube nicht, daß er ein Staatsmann geworden wäre. Er kannte 
aus eigener Anschauung England, Italien und Frankreich. Trotzdem 
täuschte er sich nicht selten in der Beurteilung der Politik anderer Länder 
und schwankte zwischen allzu hitzigem Optimismus und übertriebener 
Schwarzseherei. Das galt auch für seine persönlichen Freundschaften, ins- 
besondere mit anderen Israeliten. Ich habe ihn als intimen Freund und als 
ebenso intimen Feind von Maximilian Harden gekannt. 
Als ich seine Bekanntschaft machte, war er ein Verehrer von Bernhard 
Dernburg, der ihn bei mir eingeführt hatte. Bei seiner Rückkehr von einer 
mit Dernburg gemeinsam unternommenen Reise nach unseren afrikani- 
schen Kolonien konnte Walter Rathenau sich nicht genug tun in Spott 
und Hohn über den Kolonialminister, der in Wildnis und Wüste einen 
Bratenrock getragen habe und über dem Bratenrock das weiß und rot
	        
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