Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

AN DER NORDSEE 43 
was geschehen würde, wenn ich gezwungen wäre, während längerer Zeit nur 
das in Rede stehende Berliner Blatt zu lesen?“ Ich zuckte die Achseln. 
Darauf Walter Rathenau mit feinem Lächeln: „Ich würde Antisemit 
werden.“ Ein guter Witz, den Heinrich Heine hätte machen können. 
Zum letzten Male in meinem Leben sah ich Walter Rathenau, als ich mit 
meiner Frau einem von ihm in dem mir so wohlbekannten Garten der Villa 
des Staatssekretärs veranstalteten Empfang beiwohnte. Er war sehr be- 
glückt und gerührt durch unser Kommen und dankte uns wiederholt aufs 
wärmste. Hier drückte ich ihm zum letzten Male die Hand. Die Nachricht 
von seinem bald nachher erfolgten Tode hat mich schmerzlich bewegt. Ein 
Jahrzehnt vor diesem tragischen Abschluß eines noch viel versprechenden 
Lebens ging ich mit Walter Rathenau ahnungslos dessen, was die Zukunft 
uns Trübes und Widriges bringen sollte, am Strande der Nordsee spazieren. 
Er sprach mir von seinen Arbeiten, ich erzählte ihm aus meinen politischen 
und persönlichen Erinnerungen. Er war der erste, der mir lebhaft zuredete, 
meine Memoiren zu schreiben. Leider habe ich mich erst lange Jahre später 
an die Arbeit gemacht. Ende August 1909 erhielt ich von ihm das nach- 
stehende Schreiben: „Eure Durchlaucht bitte ich meinen herzlichen und 
ehrfurchtsvollen Dank aussprechen zu dürfen für die hohe Gunst Ihres 
Schreibens. Die höchste Auszeichnung ist mir zuteil geworden in dem Ver- 
trauen und in der Anerkennung Eurer Durchlaucht. Ein offizieller Akt kann 
diese Auszeichnung sichtbar machen, aber nicht erhöhen. Es ist mir im 
Leben das große Glück zuteil geworden, daß ich einzelnen Menschen förder- 
lich und hilfreich sein konnte. Das Glück, zu empfangen, und um so freu- 
diger und dankbarer, je unverdienter, haben Eure Durchlaucht mich 
gelehrt. Der Tag, der mich in den Umkreis Eurer Durchlaucht führte, 
bedeutet eine Epoche für mein Leben. Und wenn ich daran denke, welche 
Helligkeit und Wärme in diesen zwei Jahren aus Ihrem und der Frau 
Fürstin Herzen in meine Einsamkeit gestrahlt ist, wenn ich mich der Abende 
in der Wilhelmstraße, Ihrer Gespräche und zuletzt der schönen Tage in 
Norderney erinnere, so ergreift mich ein nie gekanntes Gefühl, und es tritt 
der eigensinnige, fast quälende Wunsch auf, es möchte sich eine Gelegen- 
heit finden, wo ich Eurer Durchlaucht meine Ergebenheit anders als durch 
Worte bezeigen kann. Darf ich, in weitem Abstand von diesen Empfin- 
dungen, einer kuriosen Bemerkung über die Ausführungen von Exzellenz 
von Valentini Raum geben, ohne dem Vorwurf der in den Gesprächen Eurer 
Durchlaucht oft kritisierten Personalpolitik zu verfallen? Es scheint mir 
kein Zufall, daß Exzellenz von Valentini meine zweite afrikanische Expedi- 
tion ignoriert. Eine Quelle, deren Ursprung ich nicht sicher bestimmen 
kann, die aber nahe dem Kolonialamt vorbeifließt, läßt folgendes durch- 
sickern: Eure Durchlaucht hätten sich beim Kaiser für einige Herren, 
Rathenau 
in Norderney
	        
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