48 ‚BERNHARD HAT MICH VERRATEN!“
mit einigen Späßen. Beim Dessert trank er mir zu, und gleich nach der
Tafel kam er, obgleich ich mich nicht bemerkbar gemacht hatte, durch den
halben Saal direkt auf mich zu und schüttelte mir die Hand mit den Worten:
‚Wir haben uns ja noch gar nicht gesehen seit Bernhards Abgang.‘ Während
er sich seine Zigarette an meiner Zigarre ansteckte, sagte ich: ‚Nein,
Majestät, ich war aber vierzehn Tage bei Bernhard in Norderney.‘ ‚So, wie
haben Sie ihn gefunden?‘ ‚Sehr frisch, Majestät, wir ritten alle Tage zu-
sammen, und ich war erstaunt, wie schneidig er reitet.‘ ‚So, und wie haben
Sie ihn sonst gefunden ?* ‚Eure Majestät wissen, daß ich ein treuer Freund
Bernhards bin; ich würde aber nicht wagen, meine Eindrücke freimütig zu
sagen, wenn Eure Majestät mich nicht direkt darauf angesprochen hätten:
Ich fand Bernhard auch geistig sehr frisch, aber tief gekränkt, weil er weiß,
wie Eure Majestät über ihn sprechen.“ ‚Es ist mir sehr schwer geworden,
mich von Bernhard zu trennen, er hat mich aber in den Novembertagen
verraten. Wie wir zusammen standen, durfte er im Reichstag nicht
zugeben, daß ich unkonstitutionell gehandelt hätte, er mußte sagen, daß
er das alles gewußt und gebilligt hätte.‘ ‚Das kann ich nicht beurteilen, aber
Eure Majestät wollen verzeihen, wenn ich sage, daß Eure Majestät niemals
populärer gewesen sind wie jetzt, und das würde doch nicht der Fall sein,
wenn Bernhard falsch operiert hätte,wenn er damals anders gehandelt hätte,
als er gehandelt hat. Ich kann versichern, daß er das getan, was er in dem
Moment für das Richtige hielt im Interesse Eurer Majestät und der Dynastie,
und daß Eure Majestät niemals einen loyaleren Diener gehabt haben als
Bernhard. Die jetzige Popularität Eurer Majestät spricht noch dafür, daß
Bernhard den richtigen Weg eingeschlagen hat.‘ ‚Ja, gewiß, das Volk jubelt
mir überall zu, in ganz Deutschland ist man auf meiner Seite. Das Volk will
mir eben zeigen, daß es weiß, daß mir bitter Unrecht geschehen ist.‘ ‚Ver-
zeihen Eure Majestät, aber zu diesem Umschwung hat doch Bernhards ganze
Haltung wesentlich beigetragen, der Erfolg spricht doch für ihn, und wenn
Eure Majestät ihm nun gar vorwerfen, daß er sich damals von Harden
hätte beeinflussen lassen, so ist das doch kränkend. Bernhard hat Harden, das
weißich bestimmt, nie gesprochen, nie gesehen oder mit ihm verkehrt. Harden
hat ihn vom ersten bis zum letzten Tage verfolgt und auch jetzt nach seinem
Sturz.‘ ‚Das mag sein; dann ist es aber indirekt geschehen durch Holstein,
der hatte Bernhard ganz eingesponnen das letzte halbe Jahr, der hat
Deutschland regiert.‘ ‚Eure Majestät entsinnen sich vielleicht, daß ich
Holstein immer gehaßt und seinen Einfluß im Auswärtigen Amt in früheren
Jahren bedauert habe — aber einen solchen Einfluß, wie Eure Majestät
glauben, hat er auf Bernhard nie gehabt. Bernhard hat mir oft gesagt, daß
er Holstein nach dessen Sturz weiter gesehen habe aus zwei Gründen:
erstens weil Holstein zu viel gewußt habe, was er, wenn gereizt, zum