54 BETIMANN SEHR ERSCHÜTTERT
schließlich nicht länger schweigen kann, wenn es vielleicht zu Prozessen
kommt und wenn meinen Erklärungen, die ich auf meinen Eid nehme,
angebliche Äußerungen Seiner Majestät entgegengehalten würden. Wenn
der Reichsanzeiger ein deutliches und entschiedenes Dementi bringt, Seine
Majestät mich bei meinem in der zweiten Hälfte Oktober bevorstehenden
kurzen Aufenthalt in Berlin sieht und ich dann nach Rom übersiedle, wird
das ganze elende Getratsche aufhören. Das Dementi muß aber, wenn es
wirken soll, klipp und klar feststellen, daß die von einer Reihe von Blättern
übernommenen und ausgeschmückten Angaben der ‚Märkischen Volks-
zeitung‘, sowohl was das Interview im ‚Daily Telegraph‘ angeht als hin-
sichtlich des Verhältnisses Seiner Majestät zu mir, in allen Punkten unwahr
sind. Ich zweifle nicht daran, daß Sie, verehrter Freund, der Sie alle
Mühen und Kämpfe dieses Winters mit mir durchgemacht haben, im
Interesse der Dynastie wie des Vaterlandes weiterem Schaden vorbeugen
werden.“
Als mein Nachfolger diesen Brief erhielt, befand er sich in Linderhof,
einem Rokokoschlößchen im bayrischen Hochgebirge, wohin er von dem
Prinzregenten eingeladen worden war, um einen Hirsch zu schießen. Mit
ihm weilten dort der Geheime Rat von Flotow, dem es sehr bald gelungen
war, sich bei dem neuen Kanzler zu insinuieren, und mein früherer Adjutant,
der Hauptmann von Schwartzkoppen, der in gleicher Eigenschaft zu
Herrn von Bethmann übergetreten war. Schwartzkoppen, einer der zu-
verlässigsten Menschen, die mir vorgekommen sind, ein durch und durch
ehrenhafter Charakter, hat mir später erzählt, daß Herr von Bethmann
durch meinen Brief anfänglich sehr erschüttert gewesen sei. Herr von
Betlimann habe zunächst geäußert: Jedes Wort, das ich ihm geschrieben,
sei wahr. Er habe in jenen schweren Novembertagen neben mir gestanden.
Er habe mein Verhalten durchaus gebilligt. Es sei seine Pflicht, nicht nur
seine Amtspflicht, sondern auch eine Ehrenpflicht für ihn, das dem Kaiser
zu sagen und Seine Majestät um die Ermächtigung zu einer dement-
sprechenden Erklärung im Reichsanzeiger zu ersuchen. Der brave Schwartz-
koppen freute sich über diese anständige Haltung seines Vorgesetzten und
sprach das auch aus, bescheiden, aber ohne Umschweife. Nicht so Flutow.
Dieser richtete mit erschrockenem Gesicht an den Reichskanzler die Frage,
ob er die Absicht habe, nach kaum dreimonatiger Tätigkeit in den Ruhe-
stand zu treten. Ein direktes und offenes Eintreten für mich würde voraus-
sichtlich einen sofortigen Bruch mit dem Kaiser nach sich ziehen, jedenfalls
das Verhältnis zu Seiner Majestät von vornherein vergiften. Der Kanzler
sci cs dem Lande schuldig, sich dem Lande zu erhalıen, das seine Berufung
mit Freude begrüßt habe und mit Vertrauen auf ibn blicke. Nach einigem
Zögern beschritt Bethmann diese Brücke. Er sehe ein, meinte er, daß sein