60 DIE AUFGEHELLTE STIMMUNG DER NATION
vielen ähnlichen Fällen. Damit wäre nichts erreicht worden. Ich durfte
auch nicht rein advokatorisch auftreten, alles Leugnen und Beschönigen
hätte die Sache nur schlimmer gemacht. II fallait faire la part du feu.
Ich stellte also im Reichstag alles richtig, was sich sachlich irgendwie
richtigstellen ließ. Ich beschwichtigte vor allem die durch das Interview
vor den Kopf gestoßenen fremden Mächte. Ich behandelte die Angelegenheit
mit dem Ernst, den die Nation erwartete und der nich selbst erfüllte. Daon
bat ich Seine Majestät um die Erklärung, mit der ich nicht nur Bundesrat
und Staatsministerium, die erregter waren als ich, sondern auch die Ein-
sichtigen im ganzen Volk beruhigte und ihr Vertrauen zu Seiner Majestät
wiederherstellte. Als das geschehen war, sagte ich Ihrer Majestät der
Kaiserin, daß wenn Seine Majestät der Kaiser sich nur sechs Monate
zuhighielte und keine neuen Unvorsichtigkeiten beginge, alles wieder in
Ordnung kommen würde. Meine weitere Taktik war, daß ich Seiner Majestät
riet, unmittelbar nach der Krisis zur Zentenarfeier in das Berliner Rathaus
zu gehen, um der Welt zu zeigen, daß er trotz allem, was vurgelallen wäre,
auch im Roten Hause unter demokratischen Stadtverordneten gerade so
sicher sei wie überall zwischen Maas und Memel. Ich wirkte weiter dafür,
daß zum fünfzigsten Geburtstag Seiner Majestät alle deutschen Fürsten
erschienen und Seine Majestät umgaben. Dann kam der Besuch des Königs
von England, der glatt und gut verlief. Und endlich sorgte ich auf dem Ge-
biete der auswärtigen Politik dafür, daß Deutschland und mit Deutschland
der Kaiser im Frühjahr d. J. nach der großen diplomatischen Winter-
kampagne so stark und mächtig dastanden wie seit zwanzig Jahren nicht.
Das waren die Worte, die vor zwei Monaten ein uns nicht besonders
freundliches englisches Blatt gebrauchte. Und ein russischer Diplomat
schrieb im Mai: Es sei mir leider gelungen, die supr@ämatie allemande
wiederherzustellen, dienach Bismarcks Rücktritt glücklich beseitigt worden
wäre. Auch die Stimmung der Nation hellte sich auf der ganzen Linie auf.
Die kleinen Anläufe, die der Reichstag im Sinne einer parlamentarischen
Beschränkung der kaiserlichen Prärogativen machte, verliefen im Sande.
Als ich im Mai mit den Majestäten dem Sängerfeste in Frank[urt a. M,
beiwohnte und achtzehntausend Sänger das Kaiserpaar unter grenzenlosem
Jubel mit der Wagnerschen Kaiserhymne begrüßten, sagte ich mir, daß das,
was ich Ihrer Majestät der Kaiserin im November in Aussicht gestellt hatte,
in Erfüllung gegaugen sei und daß das Land unversehrt, die Krone und der
Kaiser neu gestärkt aus dem Sturm herausgekommen wären. Das ist der
wirkliche Tatbestand, die historische Wahrheit. Ich habe dem Kaiser
immer treu gedient, nie treuer als während der Novembertage. Ich habe in
zwölljähriger ministerieller Tätigkeit dem Lande und dem Kaiser manchen
Dienst geleistet, niemals größere als während der letzten sechs Monate