Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

60 DIE AUFGEHELLTE STIMMUNG DER NATION 
vielen ähnlichen Fällen. Damit wäre nichts erreicht worden. Ich durfte 
auch nicht rein advokatorisch auftreten, alles Leugnen und Beschönigen 
hätte die Sache nur schlimmer gemacht. II fallait faire la part du feu. 
Ich stellte also im Reichstag alles richtig, was sich sachlich irgendwie 
richtigstellen ließ. Ich beschwichtigte vor allem die durch das Interview 
vor den Kopf gestoßenen fremden Mächte. Ich behandelte die Angelegenheit 
mit dem Ernst, den die Nation erwartete und der nich selbst erfüllte. Daon 
bat ich Seine Majestät um die Erklärung, mit der ich nicht nur Bundesrat 
und Staatsministerium, die erregter waren als ich, sondern auch die Ein- 
sichtigen im ganzen Volk beruhigte und ihr Vertrauen zu Seiner Majestät 
wiederherstellte. Als das geschehen war, sagte ich Ihrer Majestät der 
Kaiserin, daß wenn Seine Majestät der Kaiser sich nur sechs Monate 
zuhighielte und keine neuen Unvorsichtigkeiten beginge, alles wieder in 
Ordnung kommen würde. Meine weitere Taktik war, daß ich Seiner Majestät 
riet, unmittelbar nach der Krisis zur Zentenarfeier in das Berliner Rathaus 
zu gehen, um der Welt zu zeigen, daß er trotz allem, was vurgelallen wäre, 
auch im Roten Hause unter demokratischen Stadtverordneten gerade so 
sicher sei wie überall zwischen Maas und Memel. Ich wirkte weiter dafür, 
daß zum fünfzigsten Geburtstag Seiner Majestät alle deutschen Fürsten 
erschienen und Seine Majestät umgaben. Dann kam der Besuch des Königs 
von England, der glatt und gut verlief. Und endlich sorgte ich auf dem Ge- 
biete der auswärtigen Politik dafür, daß Deutschland und mit Deutschland 
der Kaiser im Frühjahr d. J. nach der großen diplomatischen Winter- 
kampagne so stark und mächtig dastanden wie seit zwanzig Jahren nicht. 
Das waren die Worte, die vor zwei Monaten ein uns nicht besonders 
freundliches englisches Blatt gebrauchte. Und ein russischer Diplomat 
schrieb im Mai: Es sei mir leider gelungen, die supr@ämatie allemande 
wiederherzustellen, dienach Bismarcks Rücktritt glücklich beseitigt worden 
wäre. Auch die Stimmung der Nation hellte sich auf der ganzen Linie auf. 
Die kleinen Anläufe, die der Reichstag im Sinne einer parlamentarischen 
Beschränkung der kaiserlichen Prärogativen machte, verliefen im Sande. 
Als ich im Mai mit den Majestäten dem Sängerfeste in Frank[urt a. M, 
beiwohnte und achtzehntausend Sänger das Kaiserpaar unter grenzenlosem 
Jubel mit der Wagnerschen Kaiserhymne begrüßten, sagte ich mir, daß das, 
was ich Ihrer Majestät der Kaiserin im November in Aussicht gestellt hatte, 
in Erfüllung gegaugen sei und daß das Land unversehrt, die Krone und der 
Kaiser neu gestärkt aus dem Sturm herausgekommen wären. Das ist der 
wirkliche Tatbestand, die historische Wahrheit. Ich habe dem Kaiser 
immer treu gedient, nie treuer als während der Novembertage. Ich habe in 
zwölljähriger ministerieller Tätigkeit dem Lande und dem Kaiser manchen 
Dienst geleistet, niemals größere als während der letzten sechs Monate
	        
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