ARBITER MUNDI 63
als Vernunft den Gedanken entwickelt, daß in allernächster Zeit ein Krieg
zwischen Amerika und Japan ausbrechen würde. Auf diesen Krieg lauere
er schon seit zwanzig Jahren und sei mehr wie je davon überzeugt, daß ein
solcher Konflikt ihm die Entscheidung über das Geschick der Welt in die
Hände spielen würde. Mumm hatte, unterstützt von Rosen, vergeblich
widersprochen.
Am Abend fuhren wir wieder nach Potsdam. Die Soiree zu Ehren des
Geburtstags der Kaiserin war sehr glänzend und dauerte lange. Der Kaiser
konnte sich aber nicht entschließen, mich anzusprechen. Statt dessen zog
er meine Frau in eine fast anderthalbstündige Konversation. Er vermied
dabei, im Gegensatz zu der langen politischen Unterredung, mit der er sie
beim Abschiedsdiner im Juli beehrt hatte, jede politische Anspielung.
Dagegen wollte er Näheres über die Villa Malta hören und wissen, ob meine
Frau sie so schön einrichten würde wie seinerzeit das Reichskanzlerpalais.
Der Kaiser hatte eine hohe Meinung von dem künstlerischen Verständnis
und dem Geschmack meiner Frau und sagte nicht lange nach meinem
Rücktritt zu Albert Ballin, der es mir wiedererzäblte: „Um Bülow ist es
nicht schade, aber der Fortgang seiner Frau von Berlin ist ein wahrer
Verlust. Sie repräsentierte in dem nüchternen und prosaischen Berlin das
Cinquecento.‘“ An jenem letzten Abend im Neuen Palais ließ der Kaiser
übrigens meiner Frau gegenüber die etwas gereizte Bemerkung fallen: „Sie
sind wahrscheinlich ganz froh, daß Sie mich luswerden, und Sie und
Bernhard werden in Rom in Ihrer. herrlichen Villa Malta ein viel an-
genehmeres Leben führen, als ich es hier habe.“ Die Soiree im Neuen
Palais ging zu Ende, ohne daß der Kaiser mich angesprochen hätte. Um so
mehr war die Kaiserin ostentativ bemüht, durch wiederholte freundliche
und herzliche Ansprachen das von ihrem hohen Gemahl Versäumte
nachzubolen.
Ich habe den Kaiser erst fünf Jahre später wiedergesehen, im August
1914, wenige Tage nachdem Wilhelm II., schlecht beraten von Bethmann
und Jaguw, aber auch durch eigene Leichtfertigkeit und Hybris in den Krieg
gestolpert war, der den Zusammenbruch unseres stolzen, mächtigen,
glücklichen Reichs herbeiführen sollte. Ich will keinen Zweifel darüber
lassen, daß die Undankbarkeit Wilhelms II. und selbst seine Unarten
meine dynastische Treue wie meinen preußischen und deutschen Patrio-
tismus selbstverständlich in keiner Weise zu erschüttern vermochten.
Ich dachte an unseren alten Herrn, Wilhelm I., und an die Worte, die er
nach dem Tode meines Vaters, im Oktober 1879, in Frankfurt a.M. an
mich gerichtet hatte, ich dachte an unseren lieben Kaiser Friedrich. Wenn
ich in dieser Beziehung noch einer Stärkung bedurft hätte, so wurde sie
mir zuteil, als die Großherzogin Luise von Baden, die Tochter Kaiser