BEBEL ÜBER BISMARCK 65
gepanzerter Faust den Fremden Furcht einzujagen und jedenfalls ihnen
zu „imponieren“. Nun Hat Fürst Bismarck es wiederholt als eine der
vornehmsten Pflichten des deutschen Vertreters im Ausland bezeichnet,
sich in seinem Wirkungskreis ein solches Vertrauen und so starke
Sympathien zu erwerben, daß er auch im Falle sachlicher Differenzen
zwischen dem Lande, bei dem er beglaubigt wäre, und seinem eigenen
Lande „als Matratze‘ dienen könne, welche die Stöße auffange. Der
Gesandte müsse ein möglichst großes Kapital von Beliebtheit an-
sammeln, damit er, wenn an der Zentralstelle Dummheiten begangen
würden, von diesem seinem Schatz noch leben könne, bis bessere Zeiten
kämen. Wilhelm von Humboldt hat den feinsten menschlichen Takt
für die oberste Maxime der Diplomatie erklärt. Und selbst Talleyrand,
der nicht sentimental war, meinte: „C’est la bienveillance qui fait les
grandes affaires.“
Mein Bruder sah in seinem Hause viele Schweizer. Einer von ihnen, ein
Züricher, erzählte mir, daß er in seiner Heimatstadt bisweilen August
Bebel begegnet sei, der dort bei seiner in Zürich an einen Arzt verhei-
rateten Tochter geweilt habe. Bebel habe in seinem Beisein nach meinem
Rücktritt geäußert: Wenn er nicht Atheist wäre, würde er glauben, daß
Gott es mit der deutschen Sozialdemokratie besonders gut meine. 1890 habe
Fürst Bismarck gegen sie zu einem furchtbaren Schlage ausgeholt. Sie
würde, wie er glaube, die Prüfung ertragen und überwunden haben; es wäre
aber doch eine schwere Heimsuchung geworden. Da habe Wilhelm II.
seinem großen Kanzler den Stuhl vor die Tür gesetzt, damit sich selbst
eines gewaltigen Ministers beraubt und Zwiespalt in die Reihen der Nicht-
sozialdemokraten getragen. Sechzehn Jahre später habe Fürst Bülow ver-
sucht, der Sozialdemokratie in anderer Weise beizukommen; nicht mit der
Wucht und der Rücksichtslosigkeit von Bismarck, aber vielleicht in einer
für sie gefährlicheren Manier. Er habe einen Keil zwischen die Arbeiter-
partei und das liberale Bürgertum getrieben, der Sozialdemokratie mit einer
zündenden nationalen Wahlparole viele Mitläufer entzogen, ihr die emp-
findlichste Niederlage beigebracht, die sie in Deutschland jemals erlitten
hätte. Nach seinem Wahlsieg sei er gewillt gewesen, durch zeitgemäße
Reformen, durch freiwillige Zugeständnisse im Geist der modernen Ent-
wicklung der Sozialdemokratie den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tat-
sächlich sei seitdem, dank der geschickten Bülowschen Taktik, die Stim-
mung gegenüber der Sozialdemokratie in Deutschland eine ungünstigere
geworden. Gleichzeitig hätten innerhalb der Sozialdemokratie die Revisio-
nisten mehr und mehr an Boden gewonnen. „Da schmeißt Wilhelm II. auch
Bülow hinaus. Ja, der liebe Gott meint es wirklich gut mit den unentwegten
Sozialdemokraten.“
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