Phoͤnikien. 29
sich wirklich mit denselben, so daß wir hoffen dürfen, die Nagelschrift
der Backsteine werde vollsiändig entziffert werden und Zeugniß geben
von dem Treiben im alten Babel.
Seit einigen Jahren wetteifern Engländer und Franzosen, die über-
wachsenen und zum Theil mit elenden Hütten der beutigen Assyrer
überbauten Schutthügel, welche die Stelle und Umgegend des seit bald
dritthalbtausend Jahren zerstörten Niniveh andeuten, zu untersuchen“).
Den Anfang machte der französische Konsul Botta in Mosul, gegen-
wärtig der bedeutendsten Handelsstadt im Gebiete des Euphrat und
Tigris. Bei Chorsabad grub er die Reste eines Palastes aus, den
einst ein assprischer Sultan erbaute und bewohnte. Die Form desselben
war ein ungeheures Viereck, das in der Mitte jeder Facade einen mo-
numentalen Eingang hatte. Auf jeder Seite des Eingangs stand ein
kolossaler Stier mit einem Menschenkopfe und Inschriften zwischen den
Beinen. Sechs dieser Stiere waren vollständig erhalten und befinden
sich jetzt in Paris oder London; jedes dieser Thierbilder ist 15 Fuß
hoch und wiegt 500 Centner. Außerdem fanden sich bronzene Löwen,
die von Männern erstickt werden, ein bronzenes Rad von einem Kriegs-
wagen, Waffenstücke u. s. w. Die Wände des Palastes sind innen und
außen mit dünnen Alabasterplatten bekleidet und diese mit Bildwerken
und Inschriften überdeckt. Ein Bild stellt die Belagerung einer Insel-
festung dar; das Meer ist mit Schiffen bedeckt, deren Vordertheil einen
Perdekopf bildet; sie bringen Holz herbei, das zur Herstellung eines
Dammes dient. Ein anderes Bild zeigt ein großes Gastmahl, das der
König gibt, ganz in der Weise, wie im Buche Esther eines beschrieben
wird; die assprischen Herren haben die Bärte mannigfaltig zugestutt,
woraus man sieht, daß es auch damals in den großen Städten ver-
schiedene Moden gab. Unter den großen Ziegeln, aus welchen der Fuß-
boden besteht, findet man hie und da ausgemauerte Behälter, die mit
thönernen glasierten Figuren von Menschen und Thieren angefüllt sind;
vielleicht ein abergläubisches Schutzmittel! Wiederum fand man Reihen
von thönernen großen Gefässen, die menschliche Gebeine enthielten. An
andern Stellen werden ebenfalls Ausgrabungen angestellt; es kommen
eine Menge Bildwerke zu Tage, welche die Triumphe der alten Sultane
darstellen; ebenso verschiedene Abbildungen der tributbaren Könige und
Völker, unter welchen auch die Israeliten nicht fehlen. Englische, fran-
zösische und deutsche Gelehrte (Rawlinson, Lapard, Ménant, Stern,
Lepsius, Oppert u. s. w.) beschäftigen sich mit der Entzifferung der In-
*)) Niniveh kommt zwar noch lange nach Kyaxares als eine Stadt vor, denn es
ist degreistich, daß ein so gut gelegener Platz mit so vielem Baumaterial nicht un-
bewohnt blleb, aber das alte königliche Rintveh war es nicht mehr.