Israels Berfaffung. 53
rer Zeit allgemein zum Vorwurfe gemacht wurde, fand seinen natur-
lichen Grund in der Unterjochung Israels durch die erobernden Könige
und Nationen, welche das kleine Land nicht verschonen mochten; ließ
man ihnen ja nicht einmal ihre Aecker und Wohnungen, sondern besetzte
dieselben mit Kolonisten aus der heidnischen Fremde, schleppte dagegen
Tausende von Jeraeliten in fremde Länder (die älteste Deportation),
wo sie gleich begnadigten Verbrechern jeden Augenblick fürchten mußten,
von dem Argwohn ihrer Unterdrücker mit grausamer Verfolgung oder
Vernichtung getroffen zu werden; kein Wunder, wenn Grimm und
Tücke allmählig ein Grundzug ihres Charakters wurden. Kein Volk
des Aterthums besaß eine Verfassung, die (abgesehen von der messia-
nischen Bestimmung Israels) so sehr wie die mosaische geeignet war,
Liebe zum Vaterlande, Friedfertigkeit gegen die anderen Völker, Fami-
lienehre und Familienglück, Zucht und Sitte, nationale und bürgerliche
Freiheit, Menschlichkeit gegen Fremde, selbst gegen das unvernünftige
Geschöpf, Arbeitsamkeit, Mäßigkeit und Genügsamkeit zu pflanzen und
zu pflegen. Die Priesterstaaten am Ganges und am Nil, die Gesetze
Lykurgs und Solons, das geweihte Elis, selbst ideale Verfassungen,
1. B. die des Platon, liefern nur untergeordnete Bruchstücke, auch wenn
man das Beste aus ihnen heraushebt, im Vergleich zu der mosaischen
Verfassung. Man beurtheilt die Staatseinrichtungen gewöhnlich und
nicht mit Unrecht nach dem Halte, welchen sie der Nation geben; auch
nach dieser Rücksicht fällt der mosaischen der Preis zu, denn obwohl
die Isracliten ihr in wesentlichen Punkten vielfach untren wurden, er-
hielt sse doch die israelitische Nationalität durch eine lange Reihe von
Jahrhunderten, erhob das Volk aus Knechtschaft und Schmach, so oft
es zu ihr zurückkehrte, und trieb noch in später Zeit unter den Makka-
bäern eine Blüte des Heldenthums, nachdem Asiens alte Nationen un-
tergegangen waren und Athen und Sparta als welkes Laub absielen.
Und was hat diese Verfassung nicht aus Palästina gemacht! In den
Steppen an der südlichen und östlichen Landesgränze weideten die Hir-
ten das genügsame Schaf und Kameel; im Berglande selbst bauten die.
Jeraeliten jedes Plätzchen an, das eine zahme Frucht tragen konnte.
An Bergesabhängen, auf Felsenstufen, wohin sie die fruchtbare Erde
auf dem Rücken trugen, zogen sie die köstliche Weinrebe. Auf den Fel-
dern bauten sie Weizen, der als der beste in Asien gepriesen wurde.
Unzählbar war die Menge der Feigen-, Oel- und Granatbäume, welche
die Thäler und Höhen schmückten; jeder Vater pflanzte einen Baum,
wenn ihm ein Sohn geboren wurde. Auf der Oase Jericho und auf
dem Gebirge Gilead wuchs die Balsamstaude, deren duftender Saft im
Alterthum ebenso hoch geschätzt wurde, als jetzt das Rosenöl von Schiras.
Trogz seiner großen Bevölkerung führte Palästina Weizen, Wein und