110 Das heilige römische Reich deutscher Nation.
ünftes Kapitel.
Dier Waräger. Gründung des russischen Neichs durch Rurik (862).
Die slavischen und finnischen Ostseeküsten sind gewiß als die nächst-
gelegenen fremden oder, was für die Normannen gleichbedeutend war,
feindlichen Länder schon frühe durch die Wickinger heimgesucht worden,
aber bestimmte Nachrichten haben wir darüber keine. Diese ostwärts
fabrenden Wickinger wurden Waräger (Kriegsleute, Söldner) genannt
und denselben Namen gaben auch die Griechen den Normannen, welche
in der Leibwache des bpzantinischen Kaisers dienten (Barangoi). Die
slavischen und finnischen Stämme am Wolchow (wo schon Nowgorod
stand) und an der obern Wolga riefen (also lautet die sagenhafte
Erzählung) gegen ihre normannischen Bedränger andere Normannen,
den Stamm der Roß oder Russen (den man mit den germanischen
Rorolanen, die als ein Bestandtheil des großen von den Hunnen zer-
störten Gothenreichs genannt werden, in Verbindung bringen will) zu
Hilfe, und erwählten die drei Brüder Rurik, Truwor und Sineus zu
Fürsten; Rurik vereinigte nach dem Tode seiner Brüder deren Gebiete
mit dem seinigen und residierte zu Nowgorod am Ilmensee. So ent-
stand das Großfürstenthum Rußland, wobei jedenfalls, mag der Sage
wenig oder viel Thatsächliches zu Grunde liegen, eine Mischung fkandi-
navischer Elemente mit slavischen und finnischen stattfand. Oskold und
Dir, zwei andere Häuptlinge der Waräger, entrissen 863 den Chazaren
Kiew und gründeten dort ein eigenes Fürsienthum, 866 aber fuhren sie
mit 200 Schiffen den Dniepr hinunter in das schwarze Meer und er-
schienen plötzlich vor Konstantinopel; ein Sturm zerstreute oder zerstörte
ihre Schiffe und die übriggebliebenen Wagehälse machten sich wieder auf
den Heimweg nach Kiew.
Olga (945—965).
Während der Minderjährigkeit von Ruriks Sohn Jgor regierte
Oleg (879—912), der Kiew eroberte, die Chazaren zurückdrängte, mit
einer zahlreichen Flotte die Küsten des schwarzen Meeres plünderte und
die Ungarn zurückschlug; Igor (912—944) zwang nach russischen Be-
richten durch drei Kriege den byzantinischen Kaiser zur Tributzahlung.
Nach seinem Tode regierte seine Wittwe Olga (945—965) kräftig und
weise; sie war dem Christenthum geneigt und reiste nach Konstantinopel,
wo sie sich taufen ließ.
Swätoslaw (965—973).
Dagegen blieb ihr Sohn Swätoslaw (965—973) Heide und er-
füllte das östliche Europa mit dem Schrecken seiner Waffen; er unter-