Das lateinisch-byzantinische Reich. 183
füllen und die ungeheuren Forderungen der Kreuzfahrer zu befriedigen.
Darüber kam es zu Feindseligkeiten, und ein Verwandter des kaiserlichen
Hauses, Alerius Murzuphlus, benutzte die Erbitterung des Volkes gegen
die Abendländer; Alerius IV. wurde erdrosselt, Isaak starb aus Schrecken,
und Murzuphlus wurde Kaiser. Jetzt erstürmten aber die Kreuzfahrer
den 12. April 1204 Konstantinopel und plünderten es rein aus, wobei
auch die Kirchen nicht geschont wurden.
Das lateinisch-buzantinische Neich (1204—1265).
Hierauf wurde Graf Balduin von Flandern zum Kaiser gewählt,
der Venetianer Morosini zum Patriarchen, das ganze Land in große
Lehen getheilt; es gab da ein Königreich Salonichi, einen Fürsten von
Morea und Achaia, Grafen von Athen, Theben u. s. w. Die Venetianer
behielten die wohlgelegenen Inseln des adriatischen Meeres und Archipels
für sich, sammt den besten Hafenplätzen, und errangen so das Ueber-
gewicht über die rivalisierenden Genuesen und Pisaner.
Durch die Gründung des lateinischen Kaiserthums schien für die
Abendländer viel erreicht; denn Konstantinopel war der vortrefflichste
Stützpunkt für alle Unternehmungen gegen die Türken, und durch die
Vereinigung der griechischen Kirche mit der römisch-katholischen schien die
Kluft ausgefüllt, die das morgenländische Christenthum von dem abend-
ländischen getrennt hatte. Von allen diesen Hoffnungen wurde aber
nichts wahr; der neue Feudalstaat, der statt des despotisch-centralisierten
bvzantinischen eingeführt wurde, siechte elend hin; denn was kümmerten
sich die großen Lehenträger um den Kaiser in Konstantinopel, was die
Venetianer, wenn ihre Handelsinteressen nicht litten! Den Griechen
aber waren die neuen Herren tödtlich verhaßt, und diese konnten von
Asien fast gar nichts, von Curopa nicht alles erobern. Statt Glaubens-
einigung wurde der Glaubenshaß der Griechen, der immer lebendig war,
zu einer unauslöschlichen Erbitterung gesteigert, die seitdem bis heute
fortdauerte, und allein schon zugereicht hätte, jedes Gedeihen des aben-
teuerlichen Kaiserthumes unmöglich zu machen. In Nikäa behauptete sich
ein kleines griechisches Reich, ein anderes bildete sich in Trapezunt durch
einen Flüchtling aus dem Hause der Komnenen, ein drittes in Epirus;
Serben und Bulgaren belämpften bald für sich, bald mit den Griechen
verbündet den lateinischen Kaiserthron, zu dessen Unterstützung der Papst
das Abendland vergeblich aufforderte. Kaiser Balduin I. wurde 1205
von den Bulgaren gefangen und das folgende Jahr grausam ermordet;
sein Bruder Heinrich (1206—1216) bewies Weisheit und Muth und
trieb wenigstens die Bulgaren zurück. Dagegen wurde der von den
Großen des Reichs zum Nachfolger gewählte Peter von Kourtenay (Graf
von Namur) von dem Despoten von Epirus gefangen und nicht mehr