Die Wissenschaft. 225
Bogen gegen das Himmelsgewölbe, welches die Spitze des Thurmes zu
berühren scheint. Um die strebenden Pfeiler und Bögen schlingen sich
Blumengewinde und rankende Pflanzen; denn die Blumen, die dem
dunkeln Schooße der Erde entkeimen, sehnen sich nach dem Lichte, und
die Regungen der Andacht, welche das Angesicht des Menschen verklären,
richten auch dessen Auge himmelwärts. Die Fundamente des christlichen
Glaubens sind mannigfaltig in dem Bau und dessen Bildwerken auf
der Außenseite und dem Innern ausgesprochen. Im Innern tragen zwei
bohe Säulenreihen das Gebäude, und wieder sind es die schlanken Spitz-
bögen, in welche die Säulen auslaufen und als Kreuzgewölbe die Decke
tragen. Die Seitenhallen zwischen den Säulen und Mauern sind mit
Nebenaltären und Denkmälern geziert; sie und das Schiff enden in dem
Chore, wo der Hochaltar steht, der immer gegen Sonnenaufgang ge-
richtet ist; er ist gleichsam der Juwel des Baues, wie das heilige Meß-
opfer die Vollendung des Cultus ist. Im Chore haben Baumeisster,
Maler, Bildhauer und andere Künstler ihre ganze Kunst aufgeboten
(auch die ersten Künstler waren die Mönche, der bürgerliche Künstler ist
ihr Schüler, der den Meister übertrifft); denn im Chore wurde der
feierliche Gottesdienst gehalten und ihn betraten in der Regel nur die
Priester, er ist gleichsam die Fassung des Edelsteins. Die Fenster, durch
welche das Licht eindringt, wurden kunstvoll gemalt; die Bilder der hl.
Geschichte, auch Begebenheiten, welche die Kirche selbst betrafen, wurden
in den Scheiben dargestellt und es strahlt eine wunderbare Farbenpracht
in den Kirchenraum, wenn die Fenster von der Sonne beschienen werden.
Die Orgel, welche mit ihrem majestätischen Tone das Innere füllt, das
Geläute der großen Glocken, welche von der Höhe des Thurmes im
wogenden Schalle in weite Ferne rufen, vollenden würdig das Ganze.
Deutsche Meister haben diese Baukunst erfunden, vervollkommnet und
in andere Länder verpflanzt, wo, wie z. B. in Frankreich, herrliche
Dome stehen; selbst den berühmten Dom in Mailand hat ein Deutscher
entworfen, den die Italiener Henriko da Gamundia nennen; es war
Heinrich Arler von Gmünd in Schwaben.
Die Wissenschaft.
Es ist bereits gesagt worden, wie durch die von Klugny ausgehende
Reformation und durch den großen Sieg Gregors VII., welcher der
Kirche ihre Freiheit wieder gab, ein neues geistiges Leben erwachte.
Hat ein großes Streben die Menschbeit einmal ergriffen, so entbinden
sich alle Kräfte und suchen im Dienste desselben das Feld ihrer Thätig-
keit. Die Blüte dieses Zeitalters, gleichsam sein zur That werdender
Grundgedanke, sind die Kreuzzüge; durch diese wurde auch die Wissen-
schaft vielfältig gefördert; durch die Kreuzfahrer, sowie durch die Aus-
Bumüller, Mittclalter. 15