Kirchliche Zerrüttung. Gegenpäpfte. Kirchlicher Ruf nach Reformation. 283
Papst, Alerander V., und als dieser im folgenden Jahre starb, den Kar-
dinal Balthasar Kossa, der sich Johannes XXIII. nannte.
Kirchlicher Kuf nach NUeformation in Haupt und Gliedern. Die Kirchenversammlung
zu Konganz (1414—1418).
Nun hatte die Christenheit einen rechtmäßigen Papst und zwei Ge-
genpäpste, aber jetzt erhob sich auch ein solcher Mißmuth unter den Na-
tionen, daß die Forderung eines Koncils eine allgemeine wurde; Sigis-
mund gab sich wirklich alle Mühe ein solches zu Stande zu bringen,
wie er als Schutzherr der Kirche zu thun verpflichtet war, und der von
Neapel bedrängte Johannes XXIII. mußte endlich einwilligen.
Reformation der Kirche in Haupt und Gliedern verlangten die
Besten aller christlichen Nationen. Nicht nur durch die Wahl von Gegen-
päpsten war Aergerniß gekommen, sondern die Päfste selbst hatten auch
angefangen Pfründen jeden Grades nach Wohlgefallen zu besetzen, statt
dies nur in den Fällen zu thun, wo es ihnen das kanonische Recht zur
PRflicht machte; durch diese Willkürlichkeit so wie durch andere Mittel
häuften sie Schätze an, wie bei Johannes XXII. erzählt worden ist.
Bei den Bischöfen war das Uebel, welches Gregor VII. mit solcher
Anstrengung vertrieben hatte, durch eine Hinterthüre wieder hereingekom-
men. Früher vergaben die Kaiser und Fürsten die großen Pfründen an
die Adeligen, welchen sie gewogen waren; durch die freie Wahl, die
Gregor VII. durchsetzte, war der Zugang auch den Geistlichen bürger-
licher Abstammung geöffnet. Die reichen Dompfründen reizten aber be-
sonders arme Adelige dergestalt, daß sie sich eifrig um dieselben bewar-
ben und um so eher erhielten, als sie bäufig Vergabungen ihrer Vor-
fahren an die Domstifte für sich geltend machten konnten. So geschah
es, daß allmählig die Domkapitel fast ausschließlich mit Adeligen besetzt
waren, und endlich wurde es bei vielen Bisthümern zum förmlichen Ge-
setze erhoben, daß kein Nichtadeliger Domberr werden könne, und diese
adelige Berechtigung gestaltete sich sogar zu der Praxis, daß das Ein-
kommen der Pfründe an adelige Jünglinge abgegeben wurde, sofern die-
selben sich nur für den geistlichen Stand bestimmten, wenn sie sich auch
nicht weihen ließen. Daß es bei anderen Prälaturen ähnlich gehen mußte,
bewirkte schon das Beispiel der Domkapitel, und dazu kam noch, daß
eine Menge edler Familien vollkommen verarmte, was den Zudrang zu
den geistlichen Versorgungsplätzen bedeutend vermehrte. Die Kirchenzucht
erschlaffte vollständig, und da zu gleicher Zeit im weltlichen Regimente
eine noch größere Unordnung herrschte und die beständigen Kriege der
wilden Zügellosigkeit freien Spielraum gaben, so entstand eine sittliche
Verwilderung, die seitdem ihresgleichen kaum mehr gefunden hat. Darum
rief jeder Gutgesinnte nach einer Reformation der Kirche, weil er nur