Full text: Die Weltgeschichte. Zweiter Theil. Das Mittelalter. (2)

358 Das Geschütz und die stehenden Heere. 
lange Zeit die berühmtesten Gießereien, bei welchen aus großer Ferne 
her Bestellungen gemacht wurden. So lange aber das Gestell so un- 
vollkommen war, daß die Stücke nur sehr langsam schußgerecht gemacht 
werden konnten (kaum in einer halben Stunde) und die Stäückmeister 
oder Konstabler die Entfernungen noch nicht zu berechnen verstanden, 
war die Wirkung des Geschützes in Schlachten und bei Belagerungen 
gegen einen entschlossenen Feind nicht geradezu entscheidend. Die Han- 
seaten brachten die Kanonen zuerst auf ihre Kriegsschiffe (Orlogschisffe, 
vom alten Worte „Urliugi“, Krieg), und selbst die Türken ahmten es 
alsbald nach. Franzosen und Deutsche wetteiferten in der Vervollkomm- 
nung des kleinen und groben Geschützes. Kaiser Max konnte eine Ka- 
none gießen, richten und bedienen, und der gleiche Ritter, der so gerne 
auf dem Streitrosse in die dichteste Feindesmasse rannte, war ganz in 
seinem Elemente, wenn er auf Veronas oder Paduas Wälle die von 
ihm gerichteten Geschütze donnern ließ. Anfangs lud man Steinkugeln, 
daher auch die gegossenen eisernen Kugeln längere Zeit Schießsteine ge- 
nannt wurden. Gegen Ende dieses Zeitraumes wurde die Bombe er- 
funden und nach einigen Jahrzehnten die Kartätsche; schon die Namen 
beweisen, daß beide wälsche Erfindungen sind. 
Durch alles dies wurde die Kriegskunst wesentlich verändert; die 
Feldherren mußten jetzt ihre Stellungen mit größerer Umsicht wählen, 
um dem eigenen Geschütze freien Spielraum zu gewinnen und anderer- 
seits dem feindlichen so wenig als möglich ausgesetzt zu sein. Gegen ein 
furchtbares Fußvolk, z. B. die Schweizer, verschanzte man sich im Lager 
oder nahm eine durch Gräben und Hohlwege gedeckte Stellung; die 
Zugänge der Stellung wurden durch möglichst viele Kanonen und Böch- 
senschützen gedeckt. Durch diese Aufstellungsweise verlor die Reiterei 
ihre frühere Bedeutung noch mehr und kam erst wieder zur Geltung, 
als die Aufstellungen im freien Felde wieder gebräuchlich wurden und 
die Reiterei durch die Deutschen eine neue Fechtart erhalten hattec. 
Uebrigens verstanden es die Landsknechte und Schweizer ganz gut sich 
in Vierecke und Klumpen aufzustellen und Reiterangriffe mit blanker 
Waffe abzuweisen. Die kriegerische Bedeutung des Adels verminderte 
sich außerdem dadurch noch mehr, weil die wenigsten Burgen gegen das 
grobe Geschütz haltbar waren. Deßwegen stiegen die tüchtigsten Kriegs- 
männer des Adels vom Streitrosse und wurden Anführer der Lands- 
knechte. 
Landsknechte hieß das deutsche geworbene Fußvolk, weil es fast 
lauter junge Bauern waren, die es vorzogen als Soldaten denn als 
Bauernknechte zu dienen; als Soldaten waren sie frei, erhielten hohen 
Sold, machten Beute und lebten im Feindeslande in Lust und Herrlich- 
keit, wenn sie den Sieg gewonnen hatten. Das lustige Soldatenleben
	        
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