78 Das heilige römische Reich deutscher Nation.
Pfarreien mit dem nothwendigen Einkommen. Es gab damals noch
keinen Staatshaushalt wie heut zu Tage, daher mußte ihnen der Kaiser
ihr Einkommen in den Abgaben von Höfen, Dörfern und Gauen an-
weisen; so gab er z. B. das Valtellin an das Stift St. Denys bei
Paris, das besagte nun in andern Worten, was dieses Thal sonst an
den Kaiser bezahlt hat, bezahlt es in Zukunft an das Stift St. Denvs,
und das Stift besetzt nun auch die Aemter, die sonst der Kaiser besetzt
hat, und mag darum selbst zusehen, wie es seine Erwerbung gehörig
verwaltet und bewirtbschaftet. Für die Bisthümer suchte er auch den
Zehnten allgemein einzuführen, konnte aber nicht überall durchdringen.
In der kaiserlichen Pfalz zu Aachen bestand eine Art hoher Schule
(schola palatina), die Alkuin gegründet hatte; den Vorträgen wohnte
Karl mit seinen Söhnen und Räthen an, auch Karls Schwester Gisela
und andere Frauen aus dem kaiserlichen Hause. Auf seinen großen
Höfen gründete Karl Schulen für die Söhne seiner Dienstleute; er be-
suchte dieselben in eigener Person, ermunterte und lobte die braven und
fleißigen Schüler, tadelte und bedrohte die trägen und unstttlichen um
so strenger, als er bemerkte, daß sie meistentheils vornehmeren Eltern
angehörten. Er hielt darauf, daß die Klosterschulen nicht eingingen,
sondern erweitert wurden, ebenso verordnete er die Errichtung von
Rarrschulen. Aus Jtalien ließ er Sänger kommen, um seine Franken
im Kirchengesange zu unterrichten; die Italiener wollten aber die An-
lagen ihrer Schüler nicht loben und verglichen deren Gesang mit dem
Gebrüll wilder Thiere. Auch andere Künste, namentlich die Baukunst,
genoßen des kaiserlichen Schutzes; er pflegte mit einem Worte jeden
Keim des Guten und Schönen, und wenn auch in der folgenden trau-
rigen Zeit manches wieder zu Grunde ging, so wirkte der Anstoß, den
er gegeben hatte, noch immer fort, und was er geschaffen hatte, konnte
nicht ganz zu Grunde gerichtet werden.
Karls letzte Tage.
Mit dem Anfange des Jahres 814 war Karl über 72 Jahre alt,
und er fühlte, daß er bald zu seinen Vätern werde gerufen werden.
Von seinen Söhnen war Karl 811 gestorben, ein anderer, Pipin, das
Jahr vorber; so war nur Ludwig übrig, welchen ihm seine erste Ge-
mahlin, die schöne, durch Abstammung und Gesinnung edle Schwäbin
Hildegard im Jahre 778 geboren hatte. Ludwig war zum Theil in
der spanischen Mark und dem westlichen Frankreich erzogen worden; er
war von sanftem Charakter, ein Freund der Gelehrsamkeit und Ruhe.
Karl ahnte, daß sein Sohn die Zügel des Reiches nicht mit der
nöthigen Straffheit anfassen werde, aber er hatte keinen anderen Nach-
folger und tröstete sich mit Gottes Willen. Im November 1813 ging