Full text: Die Weltgeschichte. Zweiter Theil. Das Mittelalter. (2)

Die westfränkischen (französischen) Karolinger. 87 
von einem tapfern Grafen geschlagen und erhielt von seinem Vater Ver- 
zeihung sammt einer Grasschaft. 
Die Erblichkelt der großen Lehen anerkannt. Der Feudal staat (877). 
Die Großen fanden bei einem solchen Unwesen in der herrschenden 
Familie die beste Gelegenheit ihre Vorrechte und Besitzungen zu ver- 
größern, denn wollte Karl der Kahle gegen Pipin, oder Lothar, oder 
Ludwig, oder seine eigenen Kinder, oder gegen die Bretagner und Nor- 
mannen die Unterstützung der Großen, so mußte er sie mit Privilegien 
und Lehen erkaufen und konnte ihnen erst nichts anhaben, wenn sie 
dessenungeachtet ihn im Stiche ließen oder gar verriethen. Karl der 
Kahle anerkannte bereits die Erblichkeit der großen Lehen; unter ihm 
verwandelten sich dadurch die ehemals königlichen Aemter in Herrschaften 
der Großen über die Amtssprengel, eine Verkehrung der alten Ordnung, 
die nicht viel später auch in Deutschland herrschend wurde. 
Ein von dem guten Willen seiner Vasallen abhängiger König konnte 
die gemeinen Freien unmöglich gegen die Uebergriffe der mächtigen Ade- 
ligen schützen, ebenso wenig aber auch gegen auswärtige Feinde, denn 
die dem Schauplatze der Gefahr entfernteren Herren fanden es meistens 
nicht nothwendig auszuziehen, weil sie der König für die Verweigerung 
der Heeresfolge nicht strafen konnte. Sie zogen es vor auf unzugäng- 
lichen Plätzen Burgen zu bauen, in welche sie sich zurückzogen, wenn der 
Feind das offene Land verwüstete; die Burgen bewährten sich ferner 
trefflich in den Fehden gegen Nachbarn, oder wenn es galt dem Könige 
Trotz zu bieten, daher wurden diese Privatfestungen immer zahlreicher, 
obwohl deren Bau auf Reichstagen verboten wurde. An Reichstagen 
fehlte es nämlich keineswegs und auf denselben kamen besonders durch 
die Bemühungen der Bischöfe, denen die Krone überhaupt den noch 
übrigen Rest von Ansehen verdankte, manche gute Beschlüsse zu Stande, 
aber der König hatte nicht die Macht sie durchzuführen, wie er denn 
wirklich in Edikten klagt, „daß dem Gesalbten des Herrn niemand ge- 
horchen wolle.“ Das westfränkische Reich war demnach einer Anarchie 
preisgegeben, die nur deßwegen seinen Untergang nicht herbeiführte, weil 
Karl der Große die Macht der heidnischen Nachbarvölker gründlich ge- 
brochen hatte; hätten damals die Ringe der Awaren hinter der Enns 
noch gestanden und die Sachsen auf dem Harze noch dem Wodan christ- 
liche Gefangene geschlachtet, so wäre das Frankenreich eben so nothwendig 
ihre und der Normannen Beute geworden, als das weströmische Reich, 
durch die seit den Antoninen eingerissene Militäranarchie zerrüttet, den 
Germanen anheimsiel. Wie in den letzten Zeiten des weströmischen Rei- 
ches die durch Steuerdruck, durch die Unredlichkeit und Härte der kaiser- 
lichen Beamten sowie durch Plünderungen der römischen und feindlichen
	        
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