92 Die Reformation. Religionskriege. Verfall Deutschlands r2c.
deutung, welche noch der katholischen Kirche anhingen, und ihre Eintracht
unumgänglich nothwendig, wenn die Protestanten die kleineren Terri-
torien nicht Stück für Stück wegholen sollten. Ferdinand richtete seine
Bemühung besonders darauf, daß, so viel an ihm lag, die Disciplin
bei dem katholischen Klerus seiner Lande wieder hergestellt werde und
griff deßwegen kräftig ein, wo das Kirchenregiment nicht helfen wollte.
Auf sein Ansuchen arbeitete der große Kanisius den Katechismus aus,
welcher zur katholischen Bildung des heranwachsenden Alters unschätzbare
Dienste geleistet hat. Selbst die Protestanten können Ferdinand nicht
beschuldigen, daß er die Artikel des Religionsfriedens irgendwie ver-
letzte oder verletzen half, er mußte vielmehr zugeben, daß die Prote-
stanten sich das eine und anderemal über das reservatum ecclesiasti-
cum wegsetzten; denn bei ihnen galten immer nur die Artikel, welche
ihnen günstig waren, von den andern, welche die Katholiken in ihrem
Besitze schützen sollten, nahmen sie nur dann Kunde, wenn sie gerade
mußten. Diese ungerechte Eigenmächtigkeit hatte thren Grund in der
Meinung der Protestanten, daß sie beträchtlich höher ständen als die
Katholiken, so daß die gleiche Berechtigung zwischen ihnen und den
Katbholiken ein gegen sie verübtes Unrecht wäre, daher das Geschrei,
wenn sie in ihren Bereich zurückgewiesen wurden, und die augenblickliche
Ernenerung ihrer Eingriffe, sobald der Augenblick günstig schien, wobei
sie immer von der Pflicht für das Evangelium sprachen, damit diesem
kein Eintrag geschehe (im Verfolge der Erzählung werden die bedeutend-
sten Fälle angeführt). Die protestantischen Theologen konnten sich aber
nicht über eine gemeinsame Glaubenslehre einigen und geriethen heftig
aneinander; sie stritten sich grollend über die Gnadenwahl, über die
Erbsünde, ob nur das „Evangelium“ oder auch das alte Gesetz gepredigt
werden solle, über das Abendmahl u. s. w. Im Jahr 1580 kam das
Konkordienwerk zu Stande, das aber nicht alle protestantischen Stände
unterzeichneten; in diesem wurde aufgestellt, daß das Evangelium allein
Seligkeit schaffe, die Predigt des alten Gesetzes aber förderlich sei zur
Zucht, Belehrung und Abhaltung von Sünde; gute Werke folgen aus
dem Glauben, sind aber nicht nothwendig zur Seligkeit; der Leib Christi
ist allgegenwärtig u. s. w.; schließlich wird die Lehre Kalvins verdammt.
Mit dieser Konkordienformel wurde die Zahl der symbolischen Bücher
der Protestanten vervollständigt; sie ist gewissermaßen das protestantische
Tridentinum.
Ferdinand I. starb den 25. Juli 1564 und ermahnte in seinem Te-
stamente seine Söhne zum treuen Festhalten an der katholischen Kirche,
indem er sie auf die Früchte hinwies, welche die Reformation bisher
getragen habe: fortwährende Empörung, Verhöhnung der Sakramente,
Unterdrückung der Katholiken, während die Protestanten jede Freiheit