Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Die neue Philosophie. 265 
für gut, sie zu unterstützen, und die Volksmasse war einfältig genug, 
daran zu glauben; verschmitzte Herren und Priester haben noch immer 
zusammengeholfen, um durch die Religion das Volk im Zaume zu halten 
und sich dadurch ihre irdischen Vortheile zu sichern.“ Ist so einmal der 
Glaube an die Wahrheit der christlichen Religion verloren, so wird die 
Geschichte der christlichen Völker, deren Heranbildung hauptsächlich das 
Werk der christlichen Religion ist, nicht mehr verstanden; denn jede 
Thätigkeit der Kirche wird zum voraus als das Ergebniß einer schlauen 
Berechnung aufgefaßt, oder im besten Falle werden die „frommen“ 
Päpste, Bischöfe, Kaiser, Könige, Herren und gemeine Leute als Men- 
schen dargestellt, die in einem geheiligten Wahne ihre Stärke und Ruhe 
fanden, ihm folgend stritten, duldeten, gehorchten und opferten. So ver- 
wandelt sich dann die Geschichte trotz aller Gelehrsamkeit und alles Scharf- 
finnes der Geschichtschreiber in einen Spiegel, welcher durch die Abnei- 
gung oder Feindsellgkeit gegen die christliche Religion so zugeschliffen ist, 
daß er keine Person und keine Begebenheit, die zu der Kirche in einer 
Beziehung steht, im unentstellten Abbilde wiedergibt. Dies ist auch durch- 
schnittlich der Charakter der Geschichtswerke jener Zeit, in deren Reihe 
Gibbons Geschichte von dem Sinken und Fallen des römischen Reiches 
den obersten Rang einnimmt. 
Der christliche Staat konnte begreiflich vor dem philosophischen Rich- 
terstuhle seinen Anklägern nicht genügend antworten, um so weniger, als 
die meisten Regierungen der damaligen Zeit den Glauben der Völker an 
ihre Rechtmäßigkeit geflissentlich erschütterten. Die Obrigkeit ist von Gott, 
die Staatenordnung nicht Erzeugniß menschlicher Spekulation und nicht 
der Willkür des Stärkern unterworfen, lehrt das Christenthum; mit der 
Leugnung der anderen christlichen Lehren mußte aber auch diese fallen. 
Die neue Philosophie lehrte: „auch die Menschen sind ursprünglich als 
Bestien herumgelaufen, nur daß sie die meisten Anlagen hatten, etwas 
mehr als Elephanten, Biber und Affen. Diese Anlagen entwickelten sich 
mehr und mehr, denn mit der Anzahl der Menschen vermehrten sich auch 
die Bedürfnisse, die freundlichen oder feindlichen Verhältnisse zu einander, 
und je weiter die Menschen sich ausbreiteten, um so mehr sonderten sie 
sich auch nach der Familienverwandtschaft in Gruppen oder Stämme. Da 
mußte nun wohl auch Streit und Zwietracht entstehen, und bald genug 
merkten sie, daß sie dadurch nur Schaden litten. Sie traten demnach zu- 
sammen und vertrugen sich über einige allgemeine Rechte und Pflichten; es 
entstanden Eigenthum, Ehe, Familie. Die Volksstämme wuchsen mehr an, 
sie kamen in feindselige Berührung, es gab Krieg; da mußte nun der 
Volksstamm einen Anführer haben, dem alles gehorchte. Er gewann den 
Sieg und dadurch hohes Ansehen und viele Freunde; das Befehlen be- 
hagte ihm so wohl, daß er nach dem Krlege seine Gewalt nicht nieder-
	        
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