Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Die neue Philosophie. 267 
Es versteht sich von selbst, daß diese Art der neuen Philosophie das 
Familienleben, wie dasselbe durch Kirche und Staat gestaltet wurde, nicht 
anerkannte; jedoch emancipierte sie die Weiber nicht vollkommen, wahr- 
scheinlich, weil dadurch die Männer nur verlieren konnten. Dagegen 
wurden die Kinder der Gegenstand ihrer Sorgfalt, und J. J. Rousseau 
aus Genf, der durch seine Theorie vom Staatsvertrage der Prediger 
der neuen Menschenrechte wurde, dieser unruhige, sittlich verunglückte, 
aber bochbegabte Mann wollte auch eine Revolution der Erzlehung be- 
wirken, obwohl er seine eigenen Kinder in das Findelhaus geschickt hatte. 
Früher hatte man die Erziehung des Kindes insofern für eine schwere 
Aufgabe gehalten, als das gute Beispiel der Eltern, Liebe und Geduld 
als die Hauptsache bei der Erziehung angesehen wurden und diese schwer 
zu üben sind; für eine Kunst hingegen hielt man die Erziehung nicht, 
schon aus dem Grunde, weil sonst Gott nicht so vielen armen und nach 
der gewöhnlichen Auffassung ungebildeten Eltern Kinder geben würde; 
es genügten als Hauptgrundsätze der Erziehung: erzlehe das Kind durch 
Beispiel und Anleitung zu einem guten Christen und laß es das lernen, 
was es zu einem ehrlichen Fortkommen in seinem Stand oder Berufe 
braucht! und die Menschheit fuhr nicht übel dabel. Unsere Vorfahren 
hielten bei der Erziehung auf pünktlichen Gehorsam; gehorchen lernen 
mußte das Kind, und wenn das Wort nicht ausreichte, so wurde auch 
die Ruthe nicht gespart; jetzt machte man aber geltend, daß auch das 
Kind eine Person mit freiem Willen sei, der mehr Achtung und Berück- 
sicbtigung ansprechen dürfe als ihm gewöhnlich zu Theil werde; der 
Zögling solle nicht durch Machtgebot und Züchtigung zum Gehorsam 
gebracht werden, sondern diesen müsse die Ueberzeugung bewirken, daß 
der Erzieher das Beste seines Zöglings wolle und demselben an Weis- 
heit und Erfahrung weit überlegen sei. Der Zögling solle sich frei ent- 
wickeln, indem die ihm angeborne Vernunft von seinem Erzieher oder 
Beschützer von selbst an Kenntnissen, Ueberzeugungen und Gewohnheiten 
das Rechte annehmen, das Unvernünftige aber, das ihm bei andern 
Menschen aufstößt, zurückweisen werde. Auch die Religion sollte der 
Zögling aus sich selbst entwickeln, er empfängk nur Mittheilungen, die 
er selbst hervorruft; dadurch wird also ein Haupthebel der christlichen 
Erziehung, das Gebet und der Religionsunterricht durch Mutter und 
Vater beseitigt, und der Zögling wird sich nur dann zum Christenthume 
wenden, sofern ihn seine eigene Vernunft dasselbe annehmen heifßt. 
Ebenso wird er sich nur insofern den bestehenden Verhältnissen fügen, 
als er dieselben vernünftig findet oder sich fügen — muß, da die Welt 
eine solche Selbstständigkeit des eigenen Menschen nicht anerkennt; Rous- 
seaus „Emil“ wird unter andern Menschen, die es nun einmal für ver- 
nünftig finden, ihre religiösen und bürgerlichen Einrichtungen festzuhalten
	        
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