Spanien unter Ferdinand VII. 393
verwirklichen wollten; das Mittelalter vermochte weder die Entzweiung
der christlichen Welt zu verhindern, noch die Feindseligkeit chriftlicher
Fürsten und Völker schiedsrichterlich zu schlichten, ebenso wenig konnte
auch die heilige Allianz den Völkern Europas Einigkeit und Frieden
erhalten. Sie zeigte ihre Hauptthätigkeit in der Bekämpfung der revo-
lutionären Bewegungen und in der Aufrechthaltung des Friedens und der
bestehenden politischen Verhältnisse und Zustände; sie war ferner ein Damm
gegen den Einfluß Englands, welche Macht schon 1815 ihr Streben ver-
rieth, ihre Herrschaft im Mittelmeere durch weitere Stützen zu sichern.
England rächte sich aber dafür, indem es den Abfall der amerikanischen
Kolonieen Spaniens begünstigte und sich öfters den Anschein gab, als
ob es die religiöse und polittsche Freiheit der Völker vertheidige.
JSweites Kapitel.
Spenien unler Ferdinand VII. (1814—18338).
Ferdinand VII. wurde von Napoleon 1814 unter der Bedingung
seiner Haft entlassen, daß Spanien alle weiteren Feindseligkeiten ein-
stelle, was Ferdinand bei der Erbitterung der spanischen Nation gegen
die Franzosen nicht hätte durchführen können, falls er auch gewollt hätte.
Er traf sein Königreich in einem ganz andern Zustande an, als wie er
es 1808 verlassen hatte; das Volk war durch den verzweifelten Kampf
gegen Napoleon der Ruhe und bürgerlichen Ordnung entfremdet und
doch nicht an militärtsche Subordination gewöhnt worden, weil es haupt-
sächlich in Guerillasbanden focht, deren Anführer Mönche, Hirten, Bauern,
Studenten, Schmuggler und selbst ehemalige Räuber waren, die sich
Generale nannten, aber selten militärische Disciplin einführten. Außer-
dem hatten die Kortes (die spanische Ständeversammlung, die Ferdi-
nand vor seiner Abreise nach Bayonne einberufen hatte) sich der Regie-
rung bemächtigt und am 19. März 1812 Spanien eine Verfassung
nach dem Muster der französischen von 1791 gegeben, welche von dem
Königthume kaum den Namen stehen ließ. Ferdinand hatte diese Ver-
fassung niemals anerkannt und warf sie auch sogleich um, als der Ge-
neral Elio ihm ein ergebenes Heer zur Verfügung stellte. Das spa-
nische Volk war damit nicht unzufrieden, denn es wollte von einem
Könige regiert sein, nicht von einer Versammlung, in welcher politische
Theorieen und Parteien den Schauplatz ihrer Thätigkeit aufgeschlagen
hatten; ebenso wenig wollte es von der Sekularisation des Kirchenguts
und der Beeinträchtigung der kirchlichen Rechte wissen, wie dies in den
Kortes bereits angebahnt war. Doch leuchtete es jedem Spanier ein,