Deutschland und Oesterreich. 465
konstitutionelle Monarchie ebenfalls als die beste aller Staatsverfassungen,
und in der That wäre bei einer solchen eine Regierung wie die Lud-
wigs XV. nicht möglich gewesen, und ebenso wenig hätten je deutsche
Landstände die Hand zur Schließung des Rheinbundes geboten, allein
es war ein sehr großer Fehler, daß man jedem Staate seine landstän-
dische Verfassung nach dem Muster des englischen Parlaments zurecht
machen wollte, obwohl die rechtlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen
Verhältnisse Englands ganz andere waren und sind als die in den
Staaten des Festlandes. Die neuen republikanischen Staaten in Amerika
ahmten die Verfassung der Nordamerikaner nach, obwohl z. B. Meriko,
Pern 2c. in keiner Weise Nordamerika ähnlich sind, und in Europa wurde
in den kleinsten Monarchieen das englische Parlament kopiert und eine
Art von Ober= und Unterhaus eingerichtet, doch weder die amerikani-
schen noch die europäischen Kopieen bewährten sich als lebenskräftig.
Das Verlangen der deutschen Völkerschaften war auch nicht auf Kam-
mein und Kammerreden gerichtet; dasselbe wäre vollständig befriedigt
gewesen, sobald eine Staatsordnung bestand, welche sichere Gewähr gab
für einen geordneten, den Bedürfnissen und Kräften des Staats ange-
messenen Haushalt, für billige, prompte und für Alle gleiche Justiz,
welche der Willkür sowie der Unordnung feste Schranken zog; wenn end-
lich dafür gesorgt wurde, daß den Wünschen, Bitten und Klagen der
Unterthanen ein gesetzlicher Weg zum Throne offen war. In den
meisten deutschen Staaten wurde aber das englische System nachgeahmt,
obwohl der deutsche Adel nicht die Stellung des englischen einnahm, der
deutsche Bürgerstand weder den Charakter des englischen besitzt und auch
nach den rechtlichen und gesellschaftlichen Zuständen nicht besitzen kann,
da der Beamtenstand fast alles übernommen hat, was in England die
Korporationen thun. Oesterreich gab seinem großen Reiche keine soge-
nannte Konstitution, weil eine solche mit den eigenthümlichen Verhält-
nissen der verschiedenen Völker der Monarchie geradezu als unverträglich
erschien; Preußen ebenfalls nicht, dagegen erhielten Konstitutionen: 1816
Sachsen-Weimar, Waldeck, Schwarzburg-Rudolstadt und Lippe-Schaum-
burg; 1818 Hildburghausen, Bayern, Baden; 1819 Württemberg, Han-
nover, Lippe-Detmold; 1820 Braunschweig, Hessen-Darmstadt; 1821
Koburg; 1824 Meiningen; während andere Staaten die Landtage in
ihrer verkümmerten Form aus dem 17. und 18. Jahrhundert beibehielten.
Nun dauerte bis 1830 in dem konstitutionellen Theile Deutschlands ein
eigenthümliches politisches Leben. Das Unterhaus (Kammer der Abgeord-
neten, erste oder auch zweite Kammer 2c. genannt) versuchte sich manchmal
in der Oppositlon, die in der Regel von Abgeordneten geleitet wurde, die
zugleich Staatsbeamte waren; die Folge war, daß solche Beamte popu-
lär wurden, aber die Ungnade der Regierung zu fühlen bekamen, wäh-
Bumal ler, Neue Zeit. 6. Aufl. 30