Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Deutsche Zustände. 497 
machte einer gründlichen Verachtung derselben Platz, die indessen für das 
Wohl des Staates gefährlicher war, insofern die ganze Staatseinrichtung 
von derselben betroffen wurde. Die Rolle der Abgeordneten schien wesent- 
lich darin zu bestehen, bei den Regierungsvorlagen ihr Ja auszudrücken, 
sonst aber ihre Diäten in Ruhe zu verzehren und die Residenz nebst 
ihren Umgebungen gemüthlich kennen zu lernen. Fiel es einem Staats- 
beamten als Deputierten ein, sei es aus Gewissenhaftigkeit oder aus 
Ehrgeiz, in der Kammer eine unbequeme Opposition zu machen (schein- 
bare Opposition war erlaubt und gerne gesehen), so ließ die Versetzung 
auf einen unerwünschten Posten nicht lange auf sich warten, und beharrte 
er dennoch in seiner Richtung, so wurde ihm der Urlaub zur Theilnahme 
an den Kammerverhandlungen verweigert, während seine ministeriellen 
Kollegen denselben unbedingt erhielten. Dies System führte zuletzt in 
Baden, wo Minister Winter die nachhaltigste Kammeropposition be- 
meistert hatte, unter seinem Nachfolger Blittersdorf zu einem Bruche 
mit der Wählerschaft und dadurch zu dem Wiederaufleben einer Oppo- 
fsition (1842), die tief in das Volksleben eingriff und ihre aufregende 
Wirksamkeit über Badens Gränze ausdehnte. Man darf es unbedenk- 
lich behaupten, daß besonders durch die Art und Weise, wie das kon- 
stitutionelle System in dem südwestlichen Deutschland bald auf den Kopf, 
bald auf die Füßze gestellt, bald rechts, bald links geworfen wurde, eine 
allgemeine Verbitterung gesäet und genährt wurde. 
Ein Seitenstück zu dieser süddeutschen Prokrustesarbeit wurde aber 
auch im nordwestlichen Deutschland aufgeführt; 1837 bestieg nämlich 
Ernst August, Prinz von Großbritannien, Herzog von Kumberland, 
nach dem Ableben seines Bruders, des Königs Wilhelm IV. von 
Hannover und England, den Thron von Hannover, welches Land da- 
durch endlich aus seiner Abhängigkeit von England erlöst wurde. Ennst 
August I. warf nun zuerst die 1833 unter Wilhelm IV. und dessen 
Bruder, dem Herzog von Kambridge, der damals Vlcekönig von Han- 
nover war, gegebene Verfassung mit der Erklärung bei Seite, daß er 
eine andere vorlegen werde. Dies fand in Hannover einen passiven 
Widerstand, indem die nach der Verfassung von 1819 berufene Stände- 
versammlung 1838 auf die Regierungsvorlage gar nicht einging und 
später dieselbe förmlich verwarf; erst 1840 gelang es dieselbe durchzu- 
setzen, aber in einer mangelhaften Kammer. Die Stadt Osnabrück hatte 
sich an den Bundestag gewandt, der sich jedoch in seiner Erklärung weder 
für noch gegen die Verfassung von 1833 aussprach und nur seine Hoff- 
nung zu erkennen gab, daß sich Regierung und Stände bald einigen 
möchten. Fast noch mehr Aufsehen als die Unentschiedenheit des Bundes- 
tages erregte die Eidverweigerung von sieben Professoren der Uni- 
versität Göttingen, die darauf sämmtlich entlassen wurden, nach und 
Bumüller, Neue Zeit. 6. Aufl. 32
	        
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