Deutschland am Vorabend von 1848. 573
nothwendige Ergänzung geltend machte. Trotz dieser Verfassung gibt
es aber auch in England der Uebelstände genug und kommen da und
dort Mißbräuche zu Tage, aber dann denkt der Engländer nicht an
Revolution, sondern an Abhilfe auf dem Wege des Gesetzes, wendet
sich nicht gegen die Krone, unter deren Schirm die Nation groß wurde,
nicht gegen die Aristokratie, den Stand, der England so viele glorreiche
Helden gegeben und so viele Staatsmänner, die für das Vaterland
wohl nicht weniger thaten als die siegreichen Krieger. Nun vergleiche
man mit der englischen Verfassung den damaligen Zustand Frankreichs!
Die Krone wird statt für einen Schirm und Schut für ein nothwen-
diges Uebel angesehen (eine Republik wäre allerdings nach den Be-
griffen der französischen Bourgeoisie das Beste, aber in Frankreich geht
es nicht an, weil — Paris einen Hof braucht und der französische
Leichtfinn einen Zügel); die Aristokratie, obgleich jeder Bürgerliche sich
in dieselbe emporarbeiten kann, wird als Trägerin von Ansprüchen oder
Vorrechten gehaßt und darum richtet man die Pairskammer wie ein
Institut für abgelebte Größen ein, eine Art Invalidenhaus, wo diesel-
ben nichts nützen und nichts schaden können; die Kirche wird als eine
gefährliche Macht behandelt und möglichst zurückgedrängt, das Pro-
letariat gefürchtet, aber als Sturmbock gegen den Thron in der Reserve
behalten. Solche Zustände waren wohl den Franzosen zu gönnen, da sie
auf dieselben stolz waren, für Preußen aber wären sie ein Unglück gewesen;
die deutschen Apologeten der Konstitution priesen indessen auch die fran-
zösische Verfassung nicht an, sondern suchten auf einem andern Wege die
Stimmung der sogenannten Gebildeten für eine preußische Konstitution zu
gewinnen. Am bedeutendsten war die Wirkung von zwet historischen Schrif-
ten Dahlmanns, „Geschichte der englischen Revolutlon“ und „Geschichte
der französischen Revolution", worin er die Genesis der beiden großen
Ereignisse nachzuweisen sucht, was ihm auch theilweise trefflich gelingt.
Der Kern des an der Hand der Geschichte gewonnenen Raisonnements ist
ungefähr dieser: die Völker durchwandeln ihre eigenthümlichen Entwick-
lungsstufen, ihre Zustände sind keine unveränderlichen; diese natürliche
Bewegung ist eine unaufhaltsame und wirkt zerstörend, wenn sich ihr
ein Hinderniß in den Weg stellt. Dann treten die Katastrophen ein,
welche man mit dem furchtbaren Namen Revolution bezeichnet; Karl I.
und Ludwig XVI. wurden ihr Opfer, weil sie die Bewegung in ihren
Völkern nicht leiteten, die besten Kräfte nicht um sich versammelten, son-
dern sie abstießen und so einen ungleichen Kampf herbeiführten, in wel-
chem ihnen nicht nur die physische Uebermacht, die Volksmasse, sondern
auch die geistige, d. h. die Männer, welche die Lage verstanden und
einsahen, was dem Lande nothwendig war, gegenüberstanden. Der
Monarch hat es deßwegen fast immer in der Hand, die Bewegung von