Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Oeffentliche Meinung in Frankreich. Bethoͤrung der Bourgeoisie. 607 
Guizot aus. Die Herren Thiers, Odilon Barrot, Dufaure, 
Duvergier d'Hauranne 2c. sahen zuletzt kein Mittel mehr übrig, um 
zu Ministerportefeuilles zu gelangen, als wenn sie gegen das hartnäckige 
Regierungssystem aus dem Lager der Demokratie eine Verstärkung zu 
Hilfe rlefen. Dieser Ruf lautete: Wahlreform, Ausdehnung des Wahl- 
rechts! Die Regierung konnte darauf nicht eingehen, weil sie der Demo- 
kratie um so weniger ein größeres Feld einräumen durfte, als bereits 
eine große Mißstimmung herrschte und eine nach einem reformierten 
Wahlgesetze von einer größeren Anzahl Wähler und unter dem Einflusse 
der Agitation gewählte Kammer sich beikommen lassen konnte, die Rolle 
des englischen Parlaments von 1640 zu spielen. Die Kammermehrheit 
verwarf daher aus guten Gründen am 9. Februar die beantragte Wahl- 
reform, und nun versetzten die oben genannten Herren die Opposition 
aus der Kammer in die Straßen von Paris, indem sie auf den 22. 
Februar ein großes öffentliches Reformbanket ankündigten. Die 
Regterung verbot das Banket und die Herren Anordner desselben verstän- 
digten sich mit der Polizei dahin, daß sie sich auf dem bestimmten Platze 
einfinden würden, wobei sie die Polizei nicht stören sollte, alsdann woll- 
ten aber auch sie der Aufforderung der Polizei ruhig Folge leisten und 
auseinander gehen. Solches Spiel wurde abgekartet, während die re- 
publikanische Partei vor Begierde brannte, die lang ersehnte und vor- 
bereitete Gelegenheit zu einem großen Schlage zu benutzen, der ihr nur 
gelingen konnte, wenn die Pariser Bourgeoisie sich überraschen ließ und 
in der Bethörung den Republikanern in die Hände arbeitete. Die Bour- 
geoisie ging in die Falle, denn sie war gegen den König für den Augen- 
blick höchlich erbost. Dies war die Folge von Anschuldigungen und 
Verleumdungen, die nicht allein die höchsten Regierungsbeamten, son- 
dern auch den König selbst trafen. Man hörte damals (und in Deutsch- 
land tönt das Echo noch immer fort), Louis Philipps Regierungs-= 
spstem sei auf die gemeinste Pflege der materiellen Interessen gegründet; 
Geld und nickts anderes sei die Achse, um die sich das ganze System 
drehe, und für Geld werde Patriotlsmus, Ehre, Freihelt, Recht und 
Sitte ausgewechselt. Wie es immer geschehen ist und geschehen wird, 
so eiferten diejenigen am meisten gegen das Geld, welche die andern 
darum beneideten, welche selber nach dem Gelde mit wüthender Be- 
gierde verlangten, und wenn sich diese nicht befriedigen ließe, wenigstens 
die Genugthuung haben wollten, den Besitz der andern zu vernichten. 
Nicht nur das republikanische Proletariat, sondern auch die Bourgeoifie 
meinte, der König sei eigentlich zu reich; Louis Philipp. hatte nämlich, 
bevor er die Königswürde annahm, seinen ererbten großen Grundbesitz 
seiner Familie in aller Form übergeben, weil auch in Frankreich der 
Grundsatz galt, daß der König nicht auf den Ertrag von Gütern, son-
	        
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