Oessentliche Meinung in Frankreich. Bethörung der Bourgeeisie. 609
ehrlicher benahmen sich die Feinde des Königs bei den „spanischen Hei-
rathen“; auch da sollte Louis Philipp nur nach dem großen Heiraths-
gute der Infantin Donna Luisa für seinen fünften Sohn, den Herzog
von Montpensier, geangelt haben; die Franzosen schrieen über die Hab-
sucht ihres Königs, weil die Oppositionshäupter dazu das Zeichen gaben,
und ließen sich durch die unverhohlene Wuth der Engländer wegen dieser
Hetrathen nicht überzeugen, daß der französischen Politik ein guter Schach-
zug gelungen war. Solche Verdächtigungen wechselten mit der Behaup-
tung, der König begünstige die Geldmänner und sporne seine ersten
Diener förmlich dazu an, ihre Stellen zum Geldmachen zu benutzen. Daß
die Regierung die 5procentige Staatsschuld nicht konvertlerte, d. h. den
Zinsfuß nicht heruntersetzte, sollte einzig und allein aus Rücksicht auf
die großen Kapitalisten und den König selbst geschehen, während die
Billigkeit doch von jedem Schuldner verlangt, daß er das aufgenommene
Kapital entweder mit den ausbedungenen Interessen zu verzinsen fort-
fahre oder aber dasselbe heimbezahle, d. h. den Versuch mache, ob er
die alte Schuld mit einer zu niederem Zinsfuß aufgenommenen neuen
decken könne. Allerdings war nicht zu leugnen, daß manche der vor-
nehmsten Beamten ihre Stellung zur Geldmacherei benutzten, aber dies
war in Frankreich jedenfalls kein neuer und etwa erst unter Louis Phi-
lipps Regierung aufgekommener Brauch; denn es hatten auch die Frei-
heitsmänner Mirabeau, Danton, selbst das kalte Ungeheuer Robespierre
ihre Hände für edles Metall offen gehalten; die republikanischen Kom-
missäre stahlen gleich den Ratten, wie die Berichte der Feldherrn bezeu-
gen; Napoleons Marschälle hatten an ihrem Solde und an ihrer Dotation
nicht genug, sondern trieben, wo sie hinkamen, Privatkontributionen ein
(man denke an Soults Sammlerfleiß in Spanien, an Junots Räube-
reien in Portugal, an die Glockenranzionirung der Magdeburger von
Ney, an das Soldatenliedlein auf Vandamme 2c.) — warum über diesen
alten französischen Nationalfehler solches Aufheben machen, wenn sich
derselbe auch unter Louis Philipp zeigte?) Zudem waren es ja vor-
züglich liberale Herren, die den Bourbons manche bittere Stunden bereitet
hatten, welche so viel Empfänglichkeit für den Metallreiz zeigten; so ver-
lautete z. B., daß Thiers als Minister zwar das Börsenspiel nicht
selbst betrieben, aber seinen Schwiegerpapa habe operieren lassen. Der
erste skandalöse Prozeß in dergleichen Dingen traf einen ehemaligen In-
dustriellen von Paris, Gisquet, der 1831 Polizeipräfekt, später Depu-
tierter und Staatsrath wurde; er hatte sich Bestechlichkeit und gewinn-
reiche Ausbeutung seiner amtlichen Stellung zu Schulden kommen lassen,
aber die Enthüllungen, die er aus Rache für seine Absetzung in seinen
Memotlren machte, stellten abermals meistens solche Männer bloß, die
auf der liberalen Karrière aus den mittleren Schichten der Gesellchaft
Bumäller, Neue Zeit. 6. Aufl.