Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

612 Die neue Revolutionsperiode. 
ser sah nun, daß er sich auf die Nationalgarde, d. h. auf die Pariser 
Bourgeoisie, die oft gepriesene Stütze seines Thrones, nicht mehr ver- 
lassen könne, und wollte das Gewitter durch Nachgibigkeit beschwören. 
Er entließ das Ministerium Guizot und beauftragte den Grafen Molé 
mit der Bildung eines neuen, als dieser ausschlug, den Herrn Thiere, 
der aber nicht schnell genug bei der Hand war. Dieses Schwanken 
wurde nur zu bald in den Straßen merkbar, denn da kein Ministerium 
bestand, so blieben die Beamten und die Anführer der Truppen ohne 
Befehle, die Truppen auch ohne Lebensmittel. Da dessenungeachtet 
Guizots Abdankung Eindruck machte und die Leiter der Revolution das 
Einschreiten der Nationalgarde um jeden Preis verhindern wollten, so 
trafen sie Anordnung zur Herbeiführung blutiger Auftritte, aus denen 
aller Wahrscheinlichkeit nach ein förmlicher Kampf entstehen mußte. Vor 
Guizots Hotel war eine Abtheilung Linienmilitär aufgestellt, dahin wälzte 
sich eine Masse Menschen und stellte sich demselben gegenüber auf; aus 
diesem Haufen fiel plötzlich ein Schuß auf das Militär, das denselben 
mit einer Salve beantwortete, die ungefähr 50 Menschen todt oder ver- 
wundet niederstreckte. Jetzt erhob sich ein furchtbares Geschrei: Verrath, 
Verrath! man ermordet das Volk! Dies Geschrei wurde von Beauf- 
tragten in allen Straßen wiederholt und nun erhoben sich eine Menge 
Barrikaden, die von den Arbeitern ungestört errichtet wurden, weil das Mi- 
litär sich darauf beschränkte, seine angewiesenen Stellungen zu behaupten, 
die Nationalgarde aber nur theilweise ausgerückt und jedenfalls gesonnen 
war, „das Volk“ einige Zeit lang machen zu lassen, damit Louis Philipp noch 
mürber würde. So bemächtigte sich das „Volk“ in der Nacht vom 23./24. 
der meisten Straßen, ohne daß es an irgend einem Punkte, dem Wachhause 
der Municipalgarde ausgenommen, zu einem ernsthaften Kampfe gekom- 
men wäre. Am 24. ernannte der König Odilon Barrot zum Mini- 
ster, der an der Spitze der Reformpartei gestanden war, aber ihn em- 
pfängt der Ruf des Volks: „Nieder mit Louis Philipp!“ Dieser hatte 
den Oberbefehl über die Truppen dem Marschall Bugeaud übergeben, 
der sich anschickte, mit der 37,000 Mann starken Besatzung, die vom 
besten Geiste beseelt war, den Dingen eine andere Wendung zu geben, 
aber noch war er mit seinen Anordnungen nicht fertig, als ihm jedes 
angriffsweise Einschreiten verboten wurde. Die bis zum Tode ermüdeten, 
von Hunger gequälten Soldaten wurden endlich ihrer Lage überdrüffig 
und ließen sich theilweise das Fraternisieren des Volkes gefallen, während 
die Mehrzahl in die Kasernen zurückgeführt wurde. Louis Philipp wurde 
endlich von seinen Ministern überredet, zu Gunsten seines Enkels abzu- 
danken, für den die Herzogin von Orleans, nicht der unpopuläre Re- 
mours, die Regentschaft führen sollte. Damit war jedoch dem „Wolke“ 
nicht gedient, es drang in die Tuilerien, riß den königlichen Thron in
	        
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